Wir stecken fest: Intuition, Purpose und Multiperspektivität. Teil 3

Generiert vom Midjourney Bot auf die Anweisung: “Purpose as an evolutionary principle of life emerging from a pre-existing subtle matrix”.

In unserem neuen Buch Die Entfaltete Organisation nehmen Intuition, Kreativität  und Purpose einen wichtigen Platz ein. Sie zählen für uns zu den sogenannten Feldkompetenzen, also zu den Fähigkeiten die wir brauchen, um bewusst mit kollektiven Feldern zu arbeiten und komplexe Umgebungen zu navigieren. In meiner Artikelserie (Teil 1 und Teil 2) greife ich die Erkenntnisse des Neurowissenschaftlers Iain McGilchrist auf, da seine Thesen und Beispiele Bettinas und meine Perspektive ergänzen und in anderen Wissenschaften verankern. In diesem 3. Teil greife ich Aspekte aus McGilchrist’s Monumentalwerk The Matter With Things (2021) heraus, die sich mit wichtigen Feldkompetenzen beschäftigen: mit Intuition und Kreativität einerseits und mit Purpose andererseits. 

Kreativität und Innovation

Viele Unternehmen leiten Transformationsprozesse ein, um innovativer und kreativer zu werden. Im globalen Wettbewerb, gerade auch mit digitalen, disruptiven StartUps, können sie sich ein “Business as usual” nicht mehr erlauben. Von schlankeren, flexibleren Prozessen und Strukturen erwarten sie, dass Mitarbeiter sich stärker mit ihren eigenen Ideen einbringen. Doch Kreativität und Innovation sind  im Unternehmenskontext immer noch weitgehend unbekannte Größen, von denen die wenigsten wissen, wie sie gefördert und stimuliert werden können. Großraumbüros für den lateralen Austausch, Post Its für Gedankenblitze und Sitzsäcke für eine informelle Arbeitshaltung alleine reichen auf jeden Fall nicht aus. 

In meiner Erfahrung gehen viele Menschen davon aus, dass Kreativität ein weitgehend rational-kognitiver Prozess ist. Bezogen auf die Hemisphären-Forschung würden wir ihn in der linken Gehirnhälfte anordnen. Experten beschäftigen sich intensiv mit ihrer Materie. Wenn sie noch mehr Wissen aggregieren, so die gängige  Vorstellung, entsteht in der Kombination aus altem und neuem Wissen etwas Neues. 

Doch die Annahme, dass Innovation aus Denken resultiert, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt von meist unwichtigeren Ideen, die Bestehendes inkrementell weiterentwickeln oder verbessern. Grundlegende Neuerungen und Innovation entstammen meist dem nicht-kognitiven Bereich. Sie entstehen auf der Basis von Inspiration und Intuition. 

McGilchrist liefert eine große Fülle von Beispielen, dass wirkliche Innovationen nicht aus Teilen zusammengesetzt werden (wie das für einen Prozess der linken Gehirnhälfte üblich wäre), sondern als Ganzes, als “Gestalt” und in Form von”Einsichten” in uns auftauchen. Sie sind das Produkt  der Intuition und erscheinen uns als plötzliches Verständnis, als Erkenntnis oder Lösung eines Problems, bei der die mentale Repräsentation einer Person, einer Situation, einer Fragestellung, auf bis dato unbekannte Weise reorganisiert wird. Viele kreative Geister haben dieses Phänomen eindrücklich beschrieben. “Wenn man kreative Menschen fragt, wie sie etwas gemacht haben,” so sagte Steve Jobs, “fühlen sie sich meist etwas schuldig, weil sie nicht wirklich etwas getan, sondern nur etwas gesehen haben, was plötzlich offensichtlich war.” Einstein sagte von sich, dass er nie in logischen Symbolen oder mathematischen Gleichungen gedacht habe, sondern in Bildern, Gefühlen und Musikabfolgen. Der Mystiker Meister Eckart sprach davon, dass sich ihm Erkenntnisse, wie Blitze, konzentriert auf einen einzigen Punkt, als eine einzige Gestalt,  offenbarten. 

All dies sind wiederum Phänomene der rechten Gehirnhälfte. Erkenntnisse entstehen also nicht dadurch, dass wir zu bekannten Tatsachen noch etwas hinzufügen und uns in einer linearen, kausalen Abfolge zu einem Ergebnis vorarbeiten. Sondern es taucht ein neues Bild in uns auf, welches der Gesamtheit der Erfahrungen besser entspricht und sich stimmiger anfühlt, als das Bild, das es ersetzt, Menschen sprechen davon, dass in Aha-Momenten Dinge “an ihren Platz” fallen. 

Körper und Emotionen spielen in diesem Prozess eine wichtige, jedoch meist vernachlässigte Rolle. Die wenigsten Menschen, ob Eltern, Schüler oder Mitarbeiterinnen in Unternehmen, trainieren bewusst ihren Zugang zu Informationen auf der physischen und emotionalen Ebene. Stattdessen akkumulieren sie Wissen und noch mehr Wissen und versuchen Antworten zu denken.

Die Rolle des Körpers

Dabei haben Neurowissenschaftler in den letzten Jahren die Rolle des Körpers für Wahrnehmung und Kognition deutlich herausgearbeitet. Kognitionswissenschaftler wie George Larkoff und Max Johnson zufolge “denken wir mit unseren Körpern”. In ihren Arbeiten zeigen sie, dass explizites und wörtliches Denken nur einen vernachlässigenswerten Anteil einnimmt. Stattdessen stammen die meisten Erkenntnisse aus dem unbewussten, intuitiven und im Körper verwurzelten Bereich. Evolutionsbiologisch macht das viel Sinn, denn Urteile und Denkprozesse sind erst vor ca. 100.000 Jahren entstanden und somit im Vergleich zu Intuition und Instinkt relativ jüngere Phänomene.  

Schon im 19. Jahrhundert beschrieb William James rationales Denken als “Oberflächenphänomen … Es ist höchst unzulänglich und seine einzige Überlegenheit ist … dass es uns ermöglicht Abkürzungen durch die Erfahrung zu machen und dadurch Zeit zu sparen. Wir brauchen Abkürzungen, aber wir sollten sie nicht mit dem Erfahrungswissen verwechseln”. Denken lohnt sich also nur in bestimmten Fällen und es ist oft klüger ohne Denken zu handeln. Whitehead folgend, schreibt McGilchrist dazu: “Entscheidungen, die die Integration vieler verschiedener Informationsquellen erfordern, werden besser intuitiv getroffen, da bewusste Überlegungen den Prozess der angemessenen Gewichtung der verschiedenen Informationsquellen stören”. 

Diese Einsicht steht der herrschenden Managementlehre diametral entgegen, die bemüht ist Strategien und Maßnahmen rational herzuleiten und mit vielen Fakten zu untermauern. Dabei wissen wir aus empirischen Untersuchungen, dass auch viele Führungskräfte wichtige Entscheidungen in komplexen Umgebungen intuitiv fällen und sie erst im Nachhinein mit Daten und rational Argumenten begründen. In den meisten Unternehmen ist es (noch) undenkbar, dass eine Führungsperson ihre Entscheidung damit begründet, dass sie ihrem “Bauchgefühl” oder einer “starken Inspiration” folgt. 

Ein wichtiger Schritt in Teams wäre es deshalb sich realistisch mit den nicht-rationalen Prozessen, die hinter Kreativität und Innovation stecken, zu beschäftigen. Dann würden Entscheidungen weniger auf der Basis getroffen werden, ob sie die richtigen Boxen ticken, sondern weil sie sich stimmig und richtig anfühlen. Doch davon, Gefühlen  wirklich solche Macht zuzuschreiben, sind die meisten Teams weit entfernt. auf

Eine produktive Abfolge

Anstatt so zu tun, als seien Kreativität und gute Entscheidungen hauptsächlich eine Frage von besser und mehr Denken, ist es sinnvoll sich den genauen Prozess dahinter anzuschauen und vor allem zu verstehen, wie die Fähigkeiten der linken und rechten Gehirnhälften produktiv zusammenwirken können. Denn bedeutende kreative Prozesse basieren auf beiden Hemisphären.

1. Den Anfang kann entweder die rechte oder linke Gehirnhälfte machen: Eine Fragestellung kann sich hauptsächlich aus der rational-kognitiven Perspektive ergeben (linke Gehirnhälfte). Oder aber sie entsteht aus einem Sog und Interesse heraus, welche rational nicht erklärlich sind (rechts Gehirnhälfte). 
2. Die zweite Stufe des Innovationsprozesses ist auf jeden Fall links gesteuert, denn jede bahnbrechende neue Erkenntnis basiert auf fundiertem Wissen und Fähigkeiten, einer Expertise, die oft in jahrelangem Studium und Erfahrungen erworben wurde.
3. Darauf folgte eine dritte Phase der Inkubation, die von der rechten Gehirnhälfte gesteuert wird und weitgehend unbewusst ist. Sie mündet, im besten Fall, in einer “Erleuchtung”, einer neuen Einsicht, die plötzlich aus dem Unbewussten, ungewollt und oft mühelos erscheint und von Gefühlen wie Freude und Erfüllung begleitet wird.
4. Dieser Heureka, Aha-Moment wird wiederum von einem Prozess der Validierung und Qualitätskontrolle abgelöst, der von der linken Gehirnhälfte übernommen wird. 

Diese Abfolge zeigt, dass wirkliche Kreativität nicht erzwungen werden kann. Wir können lediglich bewusst geeignete Konditionen schaffen, in denen sich die rechte Gehirnhälfte entfalten kann. Die gleiche Abfolge finden wir in vielen anderen Lebensbereichen. Eine Pianistin wird sich ursprünglich zum Instrument intuitiv hingezogen fühlen (rechts). Darauf folgen Tausende von Stunden, in denen sie darum ringt das Klavier technisch zu beherrschen und Musikstücke aufzuspalten und analysieren. Erst dann kann es eine neue Synthese geben, in der alle technischen Anstrengungen aus dem Gedächtnis verbannt werden und die Musik ihr ganz natürlich und intuitiv aus den Finger fließt. Keine Phase kann übersprungen werden. Der Prozess ist dialektisch.

Purpose und Werte – nicht geschaffen, sondern entdeckt

Wenn Innovation und Kreativität nicht-lineare Prozesse sind, die auf Intuition beruhen und aus dem Unterbewussten emergieren, stellt sich die Frage woher neue, bahnbrechende Ideen stammen. In Die Entfaltete Organisation gehen Bettina und ich von einem größeren Bewusstseinsraum aus, in dem bestimmte Ideen, Muster, Bewegungen als Potentiale angelegt sind. Dieser Ansatz korrespondiert mit den Erkenntnissen vieler Weisheitslehren und unterscheidet sich von der westlich dominanten Vorstellung, dass Menschen sich selbst etwas Neues ausdenken. Stattdessen gehen wir davon aus, dass es in der Welt ein intrinsisches Potential gibt, welches sich durch menschliche Tätigkeit entfalten und manifestieren kann. Unsere Verbindung zu diesem Potential bezeichnen wir als Purpose. Purpose fungiert wie ein höherer Anziehungspunkt, wie ein Magnet, zu dem jeder Mensch eine Verbindung herstellen kann. Purpose zeigt sich in subtilen Bewegungen, die wir wahrzunehmen trainieren können. Dafür nutzen wir unsere Intuition und Vorstellungskraft. 

Unser Verständnis von Purpose ist also eng an ein evolutionäres Verständnis von Leben gekoppelt. Unsere Welt ist ein sich selbst-organisierendes System, welches bestimmte latent angelegte Eigenschaften hat. Diese entfalten sich, indem Menschen Neues in der physischen Welt verkörpern, Ideen und Visionen in konkrete Strukturen und Prozesse, Werte und Haltungen umsetzen. Die sich Schritt für Schritt emergierende Zukunft zeichnet sich im gesunden Verlauf durch immer größere Vielfalt und Intelligenz aus. Der französische Philosoph Henri Bergson bezeichnete Purpose als „kreative Evolution“, das außergewöhnliche Entstehen völlig neuer Eigenschaften, wenn ein System an Komplexität zunimmt. Dabei stellt sich die Frage, was genau der Mechanismus hinter diesem Prozess ist. Folgt er einer organischen Selbstorganisation oder einem höheren Bewusstsein und göttlichem Impuls?

McGilchrist verwendet ein sehr ähnliches Konzept. Auch er geht davon aus, dass Purpose, ebenso wie Werte, bereits bestehende Muster sind, bzw. gemeinsam mit der menschlichen Entwicklung entstehen. Künstler und Naturwissenschaftler beschreiben ihr Schaffen als einen Prozess des Entdeckens von etwas, das bereits in latenter Form existiert. So schrieb Charles Dickens von “einer wohltätigen Macht, die mir alles zeigt und mich verleitet, mich für bestimmte Dinge zu interessieren. … Ich erfinde es nicht, sondern sehe es und schreibe es auf”.

Große Entdeckungen entstehen demnach wenn Menschen mit ihren intuitiven Gaben auf eine schon subtil angelegte Form treffen. Diese zeigt sich zunächst oft undeutlich, im unbewussten Bereich. Indem der schöpferische Mensch sich diesen Impulsen, Vorstellungen und Intuitionen zuwendet, erschafft er einen Raum in der neue Formen sich zeigen und durch sie oder ihn manifeste Gestalt annehmen können. Wenn eine Gesellschaft wie die unsrige das Subtile, Formlose, Intuitive und Sinnliche tendenziell abwertet (und das Konkrete, Quantifizierbare bevorzugt) verhindern wir viele kreative Prozesse. 

Das gleiche Prinzip beschreibt McGilchrist in Bezug auf Werte. Herkömmlicherweise gehen wir davon aus, dass Menschen und Gesellschaften bestimmte Werte aus ihrer sozialen Praxis heraus entwickeln. Eine alternative Sichtweise ist, dass Werte nicht erfunden, sondern entdeckt und offengelegt werden. Dies geschieht wieder in einem dialektischen Prozess. Latent im Universum angelegte Werte brauchen das Leben, um sie zu entdecken und offenzulegen. Werte, schreibt der Philosoph Thomas Nagel, sind keine zufälligen Nebeneffekte des Lebens; vielmehr gibt es Leben, weil Leben eine notwendige Bedingung für Werte sind. Werte  erfüllen sich nur, wenn sie gewürdigt werden. 

Was bedeutet diese Sichtweise bezogen auf “das Gute”? Der in unserer Kultur vorherrschende ethische Ansatz ist der Utilitarismus, der Glaube, dass das Gute mit dem Nützlichen gleichgesetzt werden kann. Diese Perspektive entspricht genau der linken Gehirnhälfte, die daran interessiert ist die Umwelt zu manipulieren. Sie ersetzt die Komplexität der Realität durch eine Reihe von Ursache-Wirkungs-Mechanismen, wobei der Schwerpunkt letztlich auf den Ergebnissen liegt. In ihrem Verständnis kann man das Gute objektiv messen: es ist gleichzusetzen mit dem größten Glück für die meisten Lebewesen.

Während dieser Ansatz  nur die von außen beobachtbare Tat einbezieht und allgemeingültige Regeln und Prinzipien postuliert, negiert sie die innere Perspektive des Handelnden. Sie fokussiert sich auf das Tun und vernachlässigt das Sein. In der von McGilchrist aufgezeigten Alternative geht es nicht so sehr um die Ergebnisse allein, sondern um unsere Einstellungen, unser emotionales Verständnis, unsere Sensibilität für den Kontext und die daraus resultierenden Entscheidungen. In dieser Form von Ethik gibt es keine äußeren Regeln,  sondern der Schwerpunkt liegt auf dem menschlichen Urteilsvermögen. 

Werte sind für McGilchrist untrennbar mit tiefsten emotionalen Erfahrungen verbunden. Genau diese emotionale Verbindung ist essentiell. Während die Utilitaristen fordern, dass Werte rational hergeleitet werden müssen, sieht er eine große Gefahr darin, Emotionen nicht ausreichend einzubeziehen. Denn Emotionen sind intelligent. Sie können eine Vielzahl impliziter Erwägungen berücksichtigen, die bei einem abstrakten Urteil fehlen würden. Urteile müssen mehr sein als nur explizit rationale Gedanken, sondern sollten einen wesentlich größeren Erfahrungsraum einbeziehen. Wenn wir unsere gefühlten Erfahrungen außer Acht lassen, entmenschlichen wir das, was wir beschreiben, und berauben es des Wertes, den wir auszudrücken beabsichtigen.

Denn alles, was letztlich von Bedeutung ist, gehört zu dem, was George Steiner als “das souverän Nutzlose” bezeichnete. Wirklich wichtige Dinge haben einen inneren Zweck und indem wir versuchen sie extrinsisch zu begründen, werten wir sie ab. Altruistische Handlungen, Kunst, Liebe, unsere Vorstellungen von einem gelungenen Leben, Spiritualität, das Mensch-Sein, alles das, hat einen Wert an sich, der zerstört wird, wenn wir versuchen ihn zu instrumentalisieren und auf das Nützliche zu reduzieren. 

Multiperspektivität

Ich möchte zum Schluß noch ein Konzept durch die McGilchrist’sche Linse betrachten, welches für die Entfaltete Organisation eine wichtige Rolle spielt: Multiperspektivität. Wir unterscheiden zwischen Empathie und Multiperspektivität in sofern, als dass es sich bei ersterer um ein Resonanzphänomen, beim zweiteren um einen wirklichen Perspektivwechsel handelt. Im Perspektivwechsel ist es mir möglich, in meinem Gegenüber nicht nur die inneren Vorgänge nachzuvollziehen, die ich aus eigener Erfahrung kenne. Sondern ich kann mich auch in Menschen mit ganz anderen Lebenserfahrungen hineinversetzen und aus deren Blickwinkel empfinden. Der Grad meiner Multiperspektivität wiederum basiert auf meiner Fähigkeit, Unsicherheit, Vieldeutigkeit und Paradoxien zur Kenntnis zu nehmen und mit ihnen umgehen zu können. Diese Ambiguitätstoleranz befähigt mich, unterschiedliche (auch widersprüchliche) Informationen gleichzeitig in mir wahrzunehmen, ohne sie bewerten oder verändern zu müssen. Wenn mir das gelingt, kann ich die Welt multiperspektivisch erfahren und auch in komplexen Situationen sicher navigieren.

Multiperspektivität ist elementar um Realität ganzheitlicher zu verstehen. Bei McGilchrist fand ich viele Belege dafür, dass die Welt von einem beliebigen Standpunkt aus gesehen nur teilweise sichtbar ist. Denn hinter jeder Wahrheit verbirgt sich eine andere, gegensätzliche Wahrheit, die sichtbar wird, sobald wir vom abstrakten in einen realen Kontext wechseln. Bezogen auf die Theorie der zwei Hemisphären brauchen wir immer eine Vision der Welt, die die Trennung offenbart (und sich wie die linke Gehirnhälfte auf Einzelphänomene fokussiert), als auch die, in der die Beziehungen zwischen diesen im Vordergrund stehen (rechte Gehirnhälfte). In diesem Sinne zitiert McGilchrist sowohl den Zen Meister Shunryi Suzuki als auch Alfred North Whitehead. Suzuki sagt: “Wir müssen die Dinge auf zwei Arten verstehen. Der eine Weg ist sie als zusammenhängend zu verstehen, Der andere ist, uns selbst als völlig unabhängig von allem zu sehen”. Und Whitehead betont: “Dinge von einer Seite gesehen zu haben, bedeutet, sie nicht gesehen zu haben”. 

Paradoxe Phänomene entstehen, wenn die rechte und linke Gehirnhälfte die Realität unterschiedlich interpretieren. Tiefere Wahrheiten über die Wirklichkeit erscheinen uns meist paradox: das, was wie ein Objekt aussieht, statisch, gewiss und fest ist, erweist sich aus anderer Perspektive als Prozess, flüssig und beweglich. Darüber hinaus verändert sich alles je nach Kontext: alle Teile sind Ganzheiten in Bezug auf geringere Teile und alle Ganzheiten können als Teile in Bezug auf ein größeres Ganzes betrachtet werden.

Die Welt, so lehrt es uns der  wohl berühmteste japanische Zen Garten Ryoan-ji, den ich als junge Studentin in Kyoto besuchte, ist immer nur teilweise zu sehen: Von jedem beliebigen Standpunkt kann ein Betrachter mindestens einen der 15 Steine NICHT sehen. Es gibt keinen Blickwinkel, von dem aus alles zu sehen ist. 

CC BY-SA 2.5

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