Tranformation muss ganzheitlich sein. Teil 1

Im Kern von Bettina Rollow’s und meiner Arbeit zu New Work steckt die Überzeugung, dass jede äußere Transformation auch eine innere Transformation braucht.

In diesem Artikel möchten wir diese Idee präziser beschreiben und Dir als Leserin ein paar Werkzeuge an die Hand geben, mit denen Du herausfinden kannst, wie ganzheitlich eure Unternehmung aufgestellt ist, bzw. wo ihr blinde Flecken habt, die einem Changeprozess im Wege stehen.

Fokus: Außen

Wir sind es gewohnt Veränderung primär als einen äußeren Prozess anzusehen. Wenn wir im Unternehmen einen Transformationsprozess aufsetzen – und einer repräsentativen Studie zufolge befinden sich momentan über 80% der deutschen Unternehmen in einem solchen – dann verändern wir meist Strukturen und Prozesse. Wir gestalten neue Hierarchiespannen und Rollenbeschreibungen, nutzen neue Software und Kennzahlen, geben uns neue Unternehmenswerte oder wechseln vom Einzelbüro ins Großraumbüro, bzw. ins Home Office.

So viele Changeprozesse scheitern jedoch, weil sie sich nur auf diese äußeren Dimensionen beschränken. Sie gehen davon aus, dass Menschen sich flüssig den neuen Anforderungen anpassen. Als wäre nur eine kleine Verhaltensänderung erforderlich, um mit weniger Hierarchie, offeneren agilen Arbeitsprozessen oder neuen Feedback-Methoden klarzukommen.

Doch das ist offensichtlich nicht der Fall: In der gleichen, oben erwähnten Studie, befürworten nämlich nur 34% der Mitarbeiter diese Veränderungsprozesse. Aus vielen anderen Studien wissen wir, dass das Gros der Changeprozesse scheitert. Dies liegt unserer Meinung nach vor allem daran, dass wir die innere Dimension von Transformation nicht adäquat einbeziehen, u.a. auch deshalb, weil wir keine präzisen Vorstellungen von diesem „Innen“ haben. 

Um dem abzuhelfen hilft uns das AQAL-Modell des integralen Psychologen Ken Wilber.

Es zeigt anschaulich, dass alles im Leben (mindestens) vier Dimensionen hat: zwei äußere, die sichtbar sind und zwei innere, die nur subjektiv erfahrbar sind. Zudem unterscheidet das Modell  zwischen dem Individuum – also jedem Einzelnen – und dem Kollektiv – jeder Gruppe ab zwei Personen.

Fast alle Changeprozesse setzen nur in einem Quadranten, nämlich dem äußeren/kollektiven an und verändern Strukturen und Prozesse. Gelegentlich denken Change Manager noch an den äußeren individuellen Quadranten und fragen sich, ob Mitarbeiter die notwendigen Kompetenzen und Verhaltensweisen haben, um die neuen Strukturen ausreichend zu bespielen. Um dies anzugleichen bieten Unternehmen dann oft Schulungen und Trainings in Projektmanagement, Scrum oder sonstigen Methoden an.

Vernachlässigt: Innen

Dagegen sind die inneren Quadranten meist vollkommen unterbeleuchtet, weshalb wir uns ihnen hier ausfürhlicher widmen wollen. 

Der individuell/innere Quadrant taucht öfter unter dem Begriff des “Mindsets” auf. Wir sagen dann beispielsweise, dass Mitarbeiter ein “digital mindset” entwickeln müssen. Im Sinne von: sie sollen mit Veränderungen gut umgehen können, in der Krise relient sein und möglichst innovativ und kreativ. Was wir darunter aber genau verstehen, ist meist überhaupt nicht klar. 

In Unternehmen, aber auch in unserem sonstigen Leben, sprechen wir selten differenziert über unser Innenleben. Wer weiss schon welche inneren Muster und Filter seine eigene Weltsicht und Haltung prägen? Welche individuellen Glaubenssätze und Bedürfnisse dem eigenen Verhalten zugrunde liegen? Und wenn die wenigsten sich selbst so gut reflektieren können, wie steht es dann mit meinem Blick auf meine Kollegen, die Chefin oder den Geschäftspartner?

Diskussionen über diesen Quadranten sind heikel bis tabu: Viele von uns schrecken davor zurück über unsere Psyche zu sprechen. Ein Austausch über Haltungen, Werte und Bedürfnisse erscheint viel zu intim und privat, als das wir uns unter Kollegen darüber austauschen könnten. In vielen professionellen Umgebungen gelten Gespräche darüber als „unprofessionell“, werden als esoterisch oder zu emotional abgelehnt.

Keks Ackerman, lizensiert unter CC BY-NC 2.0.

Wann machen Diskussionen über Werte Sinn?

Der innere/ individuelle Bereich, über den es sich im Unternehmenskontext am besten sprechen läßt, sind Werte.

Allerdings werden Werte dann oft so abstrakt formuliert, dass sie wenig aussagekräftig sind. Die meisten Menschen werden sich z.B. auf Transparenz, Fairness oder Respekt als wichtige Leitwerte einigen können. Aber was genau verstehen wir darunter? Nehmen wir das Beispiel “Respekt”: Ich fühle mich respektiert, wenn meine Kollegen mir Freiraum lassen und meinen Kompetenzen so weit vertrauen, dass ich weitreichende Entscheidungen autonom treffen kann. Jemand anders wieder fühlt sich nur dann respektiert, wenn die von ihm festgelegten Regeln und Abmachungen eingehalten werden.

Unterschiedlicher könnte Respekt nicht definiert werden. Damit eine Diskussion um Werte aussagekräftig ist, müssen wir also einen Schritt tiefer gehen und uns und unsere Kollegen fragen; was genau verstehen wir darunter? Welches Menschenbild und welches Grundverständnis von Wirksamkeit liegt meiner Interpretation des Wertes zugrunde? 

Ebenso ist es wichtig sich darüber Rechenschaft abzulegen, wie dieser Wert mein oder Dein Verhalten prägt und welche Strukturen und Prozesse wir auf dieser Basis bevorzugen. Um bei dem Respekt-Beispiel zu bleiben: wenn ich jemand bin, für den es wichtig ist, dass Mitarbeiter und Kollegen sich an feste Strukturen, Regeln und Vereinbarungen halten, dann werde ich ein Projektmanagement favorisieren, welches der linearen Wasserfallmethode folgt. Bin ich dagegen jemand der Freiheit, Kreativität und Autonomie schätzt, werden mich lineare Methoden abschrecken und stattdessen agile, iterative Ansätzen wie SCRUM anziehen.

In den inneren Quadranten spielen auch die Erfahrungen, die ich in meinem Leben bereits gemacht habe, sowie die Rückschlüsse, die ich daraus bewusst oder unbewusst geschlossen habe, eine wichtige Rolle. In ihren Coachings reflektiert Bettina mit ihren Klienten oft, welche Erfahrungen dazu geführt haben, dass sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Welche Erlebnisse in Bezug auf Macht, Struktur und Autorität führen dazu, dass jemand bestimmte Ansätze gut findet und andere ablehnt? Menschen, die negative Erfahrungen mit Vätern, Lehrern oder anderen Autoritäten gemacht haben, fällt es oft schwer selbst Führung und Macht zu übernehmen. Menschen, die im Laufe ihres Sozialisationsprozesses Strukturen als begrenzend erlebt haben, fällt es dementsprechend schwer diese selbst aufzubauen oder sich an gegebene Strukturen und Prozesse zu halten. Anderen dagegen, die positive Erfahrungen mit Struktur, Autorität und Macht gemacht haben, fällt es viel leichter selbstbewusst diese Formen auch in ihrem eigenen Unternehmen auszuleben.

Gespräch über Bedürfnisse sind oft tabu

Im Vergleich zu Werten und Erfahrungen sind Gespräche über Bedürfnisse als weiterer wichtiger Grundpfeil unserer inneren Erfahrung wesentlich schwerer. Über Bedürfnisse zu sprechen fühlt sich viel intimer an und ist eher ungewöhnlich. Gleichzeitig sind unsere Bedürfnisse maßgebliche Treiber unseres Verhaltens am Arbeitsplatz und nur wenn wir sie selbst kennen, können wir selbstbewusst und gut orientiert im Team arbeiten.  

Um Bedürfnisse im Unternehmen besprechbar zu machen, verwenden wir ein relativ simples Modell aus der Psychodynamik nach Mentzos, welches die zwei Grundbedürfnisse eines jeden Menschen nach Sicherheit und Orientierung auf der einen Seite, und Selbstausdruck und Veränderung auf der anderen anschaulich verdeutlicht. In unserer Erfahrung ist es sehr hilfreich, wenn Mitarbeiter für sich selbst und im Dialog mit anderen refelktieren, was sie brauchen um sich ausreichend sicher und zugehörig zu fühlen, bzw. welche Faktoren ihnen helfen kreativ zu sein und gut mit Veränderung umzugehen.

Auf der individuellen inneren Ebene geht es also darum sich selbst eine Reihe von Themen bewusst zu machen und zu verstehen:

1. Wie sich mein Mindset in meinem Verhalten ausdrückt. 2. Wie es meine Fähigkeiten beeinflusst . 3. Wie sich mein Mindset in meinen Vorlieben für bestimmte Prozesse und Strukturen ausdrückt.

Zugleich brauche ich diese Reflexionskompetenzen, um zu verstehen, wie ich auf Neues reagiere und was ich brauche, um mich mit den neuen, mir im ChangeProzess angebotenen /verordneten Veränderungen klarzukommen. Wie kann ich Neues erlernen, mich weiterentwickeln und ggf. mein Mindset verändern und erweitern?

Innere Veränderung kann nicht verordnet werden.

Es ist wichtig an dieser Stelle zu betonen, dass wir es als unethisch empfinden, wenn Unternehmen von ihren Mitarbeitern verlangen, sich in ihrem Inneren zu verändern. Unternehmen können zu Reflexion und Mindset-Shifts einladen und unterstützende Angebote anbieten. Mitarbeiter können diesen Einladungen folgen und sich inspirieren lassen. Mehr aber auch nicht. Im anderen Fall – wenn mich die Veränderungen und neuen Ansprüche überfordern oder ich sie für mich als uninteressant und nicht relevant ansehe, ist es stimmiger, dass ich mir einen anderen Arbeitsplatz suche, der besser zu meinem Mindset passt.

Der innere kollektive Quadrant: Kultur und Kommunikation

Schlussendlich gibt es noch den vierten Quadranten (kollektiv/innen), in dem wir alle Phänomene verorten, die mit Kultur und Kommunikation zu tun haben  Dabei handelt es sich nicht (unweigerlich) um die Aussagen zur Unternehmenskultur, die auf der Firmenwebsite gelistet ist, denn oft stimmen Theorie und Praxis, Anspruch und Realität nicht überein. In vielen Organisationen herrscht eine ambivalente Atmophäre, in denen Kulturmuster meist implizit sind und in der unausgesprochene Dynamiken und Muster dominieren. Da gibt es Tabus, schwelende Konflikte und Spannungen, Seilschaften und Machtmissbräuche, jeweils mit dem entsprechenden Flurfunk und Lagerbildungen. Die Unternehmenskultur kann aber genauso gut auch offen und vertrauensvoll sein und Menschen ermächtigen ganzheitlich aufzutreten. Also sich auch mit ihren Schattenseiten und sponaten Ideen zu zeigen, oder Konflikte mit Kollegen oder Führungspersönlichkeiten konstruktiv anzusprechen. Eine Reihe uns bekannter Unternehmern haben Training in Gewaltfreier Kommunikation oder anderen konstruktiven Dialogformen eingeführt, um das Gesprächsniveau anzuheben.

Genau wie auf der individuellen Ebene sind auch auf der kollektiven Ebene die inneren und äußeren Quadranten eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. So sind Strukturen und Prozesse immer auch ein Ausdruck der herrschenden Kultur und Kommunikation. Und ebenso beeinflussen Strukturen und Prozesse die Kulturformen. 

In Bezug auf alle Quadranten gilt: je weniger Reibung zwischen ihnen besteht, desto erfolgreicher und nachhaltiger ist ein Zusammenarbeitsmodell: je mehr innen und außen, kolllektiv und individuell im Einklang stehen, desto mehr werden die Mitarbeiter Flow, Effizienz und Motivation erleben. Und je größer die Unterschiede zwischen ihnen sind, desto konfliktreicher, demotivierter und überforderender werden die Mitarbeiter ihr Unternehmen erleben. 

Agile Arbeitsformen erfordern ausgeprägtere innere Kompetenzen

Im Zuge der meisten Transformationsprozesse, die wir heute in Unternehmen sehen, brauchen wir mehr Klarheit und Kompetenz in den inneren Quadranten. Das hat insbesondere damit zu tun, dass wir den Abbau von Hierarchien, Strukturen und Prozessen dadurch ausgleichen müssen, das wir besser miteinander kommunizieren. Wenn es nicht mehr für alles eine Regel gibt, muss ich als Mitarbeiter gemeinsam mit meinen Kollegen situativ schnell zusammenkommen, Informationen austauschen und entscheiden. 

In den allermeisten Unternehmen bedeutet dies eine große Veränderung. Plötzlich müssen Menschen über ganz neue Dinge offen und ehrlich miteinander sprechen. Sie müssen sich selbst und ihre Kollegen besser kennen, Kompetenzen einschätzen, Konflikte ansprechen, eigenständige Entscheidungen treffen – und das alles ohne das Sicherheitsnetz fester Strukturen und Prozesse. Damit dies gelingt müssen Teams in der Lage sein, sich in allen vier Quadranten kompetent zu bewegen und die jeweils dort noptwendigen Gespräche zu führen.

Wie ein kohärentes System aussehen kann, zeigt dieses Schaubild am Beispiel einer gut eingespielten Bürokratie und ihrer Mitarbeiter:

Keks Ackerman, lizensiert unter CC BY-NC 2.0

Wie kompetent bewegen wir uns in den vier Quadranten?

Welche Art von Gesprächen führen wir in welchen Quadranten miteinander? Welche Fragen stellen wir uns selbst als Mitarbeiter und einander? Wie ist der Anteil zwischen Diskussionen zu inneren und äußeren Aspekten? Dies beschreiben wir anhand von vielen, sehr konkreten Beispielen und einer Übung für Dich, im zweiten Teil dieses Artikels.

Hier entlang, bitte!

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Joana Breidenbach, Bettina Rollow

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