New Work, Inner Work und Gewerkschaften

Dieser Blogpost entstand aus einem Gespräch zwischen mir, Joana, und Dr. Tine Scheffelmeier. Tine kontaktierte mich als ehemalige Geschäftsführerin der GEW Berlin um sich darüber auszutauschen, wie die Kräfte der etablierten Arbeitswelt, z.B. Sozialverbände und Gewerkschaften, mit den Erfahrungen und Entwicklungen neuerer Akteure, wie Sozialunternehmen und agilen Unternehmen, zusammengebracht werden könnten.

In einem ersten Zoom-Call beschlossen wir, unser Gespräch schriftlich und als Blogpost zu führen. Hier ist das Ergebnis.

Dr. Tine Scheffelmeier:
In euer Arbeit geht es um die Förderung menschenzentrierter Arbeitsbedingungen. Wie unterscheidet sich das von den Forderungen der Gewerkschaften (z.B. wie hier zur Bundestagswahl 2021 dargelegt) nach erweiterter Mitbestimmung? Gibt es spezielle Methoden in deinem Konzept, die über die traditionellen gewerkschaftlichen Arbeitsweisen hinausgehen? Zudem betont ihr, dass in einer neuen Arbeitswelt das Potential der Menschen stärker in den Mittelpunkt gestellt wird. Ist das vergleichbar mit dem gewerkschaftlichen Anliegen, die Arbeitnehmer:innenrechte zu stärken?

Dr. Joana Breidenbach:
Zuerst einmal finde ich es toll, dass Du mich kontaktiert hast, um Dich mit mir über diese Themen zu unterhalten. Ich freue mich darauf, das Verhältnis zwischen der etablierten Arbeitswelt und dem, was Bettina und ich im Bereich New Work erforschen, expliziter zu greifen. Bisher hatte ich nämlich wenig Kontakt zur gewerkschaftlichen Arbeit. 

Wenn ich mir die Forderungen der Gewerkschaften in dem oben verlinkten Dokument anschaue, dann ist mein erster Eindruck, dass wir hier von sehr unterschiedlichen Grundannahmen abspringen.

Ich lese im Gewerkschaftsdokument eine 2-Frontendynamik heraus: hier die Arbeitgeber und dort die Arbeitnehmer. Jede Gruppe tritt für ihre Interessen ein, wobei den Arbeitgebern implizit unterstellt wird, dass sie ihren Arbeitnehmerinnen möglichst viel abverlangen und diese daher möglichst geschützt werden und ihre Rechte erweitert werden müssen. Den darin eingebauten Antagonismus kann ich historisch sehr gut nachvollziehen, denn Gewerkschaften haben ja maßgebliche Rechte und Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer in einer Zeit erkämpft, in der die Arbeitsbedingungen oft extrem ausbeuterisch waren. Und in vielen Branchen und Unternehmen ist diese Dynamik zwischen Ausbeutung und notwendigem Schutz wahrscheinlich immer noch sehr berechtigt und notwendig. Aber es gibt heute auch eine ganz andere Arbeitswelt, die anderen Dynamiken folgt und an denen die gewerkschaftliche Denkweise vorbei geht.

So war mein eigener Absprungspunkt im betterplace lab ein ganz anderer als der einer “klassischen” Arbeitgeberin. Ich verstand uns im Unternehmen als Team, das gemeinsam etwas in der Welt bewegen wollte. Da gab es keine einfachen Fronten: hier ich die Gründerin und Chefin und dort die Mitarbeiter:innen, die meinem Ziel untergeordnet sind.

Das mag total naiv klingen, aber ich stehe da mit dem betterplace lab nicht alleine dar. In vielen (Sozial-)Unternehmen sind die Intentionen und Machtverhältnisse vielschichtig. Oft geht es darum, gemeinsam etwas umzusetzen und das entstehende Geflecht aus Hierarchien und Machtunterschieden spiegelt verschiedene Kräfte wieder: Jemand hatte einen Gründungsimpuls und das wirtschaftliche oder soziale Kapital eine Unternehmung ins Leben zu rufen. Andere Menschen brauchten eine Anstellung, fühlten sich aber auch von dem Thema und dem Geist der Unternehmung angezogen und kamen ins Team. Auf der Basis der Gründungsgeschichte, sowie der vorhandenen Kompetenzen und Vorlieben entwickelte sich dann eine spezifische Arbeitsteilung, in der manche Menschen mehr und andere weniger Energien einsetzen, unterschiedliche Verantwortung und Rechte haben, mehr oder weniger Geld verdienen. 

Für solche Unternehmungen macht es wenig Sinn, von zwei Gruppen zu sprechen, die sich mit Forderungen und Ansprüchen gegenüberstehen. Denn dadurch würde eine vielschichtige Realität ungebührlich reduziert. Sie sind auf einem anderen Wertehorizont aufgebaut, haben ein anderes Menschenverständnis und sehen den Wert von Arbeit unterschiedlich. 

Wenn ich vor diesem Hintergrund über Menschenzentrierung, Mitarbeiter-Mitbestimmung, Potentialentfaltung und Mitarbeiterinnenrechte nachdenke, dann gibt es ein paar Prinzipien, die für unseren Inner Work Ansatz wichtig sind und die ich hier kurz skizzieren möchte. Im Gegenzug würde es mich dann interessieren von Dir zu hören, wie sich das mit deiner gewerkschaftlichen Erfahrung deckt, bzw. unterscheidet. 

  1. Prinzip:
    Es geht immer um die Entwicklung der gesamten Organisation und nicht darum, dass einzelne Gruppen sich statisch gegenüberstehen und die einen etwas von den anderen fordern. Alle – Gründerinnen, Geschäftsführung, Management, Mitarbeiterinnen – sind Teil des Transformationsprozesses und finden untereinander heraus, wer was braucht, wo, wer am besten beitragen kann, wer wie viel Verantwortung übernehmen möchte und dazu auch die relevanten Kompetenzen hat.
  2. Prinzip:
    Jede Veränderung im Außen korrespondiert mit einer Veränderung im Innen. Wenn ich also als Mitarbeiterin mehr mitbestimmen möchte (oder mein Management sich das von mir wünscht), dann geht damit einher, dass die äußeren Strukturen (z.B,. ein größerer Verantwortungsbereich, mehr Entscheidungsspielraum) mit einem inneren Kompetenzaufbau verbunden sind, der die Mitarbeiterin befähigt, sich sicher und orientiert genug zu fühlen, dass sie verantwortungsvoll den neuen Spielraum abdecken kann. Deshalb beschäftigen Bettina und ich uns immer so viel mit Inner Work und inneren Kompetenzen. Wenn ich mir den gewerkschaftlichen Forderungskatalog anschaue, dann vermisse ich ein Verständnis für die innere Dimension von Arbeit.
  3. Prinzip:
    In New Work Unternehmen verwandelt sich die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von einer Transaktion hin zu einem co-kreativen Prozess. In der „alten“ Arbeitswelt stellen Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit und -kraft dem Unternehmen zur Verfügung und bekommen dafür im Gegenzug Geld und Sicherheit. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen dem „professionellen Selbst“ und dem „privaten Menschen“ sind relativ klar gezogen. Ich gebe Dir etwas, was Du brauchst und Du gibst mir im Gegenzug etwas, das ich brauche.

    Wenn wir unsere Zusammenarbeit jedoch co-kreativ angehen, dann begegnen wir uns in einem viel offeneren Prozess. Wir bringen uns mehr als „ganze Menschen“ ein und schaffen dadurch, dass wir uns mehr einander zeigen, einen neuen Vertrauensraum. Das gelingt nur, wenn wir auch unsere Schattenseiten miteinander teilen, also auch über die Aspekte mit Kolleginnen sprechen, für die wir uns vielleicht schämen, wo wir unsicher sind, wo wir etwas nicht können etc. In diesem vertrauensvollen Beziehungsraum können neue Impulse entstehen, denn wir trauen uns, althergebrachte Pfade zu verlassen, außerhalb der Box zu denken, Fehler zu machen und gemeinsam kreativ zu werden. Wir nehmen als Team, unabhängig von unseren Rollen und unserer Position in der Hierarchie, unser gesamtes Geschäftsfeld, unseren Arbeitsbereich ins Visier und gestalten gemeinsam die nächsten Schritte. Solche Teams lassen starre Hierarchien hinter sich und lassen sich auf einen flüssigen Prozess ein, bei dem mal die eine Mitarbeiterin in Führung geht, mal ein anderer einen Impuls weiter spinnt und andere schweigen, weil sie gerade nichts Konstruktives beizutragen haben.  

Ich könnte jetzt viele weitere Beispiele für die Unterschiede zwischen klassisch hierarchischen Formen der Zusammenarbeit und agilen und fluiden Organisationsprinzipien beschreiben. Immer wenn ich in Unternehmen Vorträge halte und mich über verschiedene Organisations- und  Führungsstile austausche, bin ich davon fasziniert, wie unterschiedlich die Grundannahmen sind und wie auf diesen verschiedenen Weltsichten dann wiederum ganz unterschiedliche Unternehmenskulturen entstehen.

Deshalb an Dich die Frage: inwiefern kannst Du meinen Ausführungen folgen? Habe ich ein stereotypes Verständnis davon, wie Gewerkschaften unsere Arbeitswelt verstehen und weiterentwickeln möchten? Wo siehst Du relevante Verbindungen? Wo können wir voneinander lernen?

Dr. Tine Scheffelmeier: 

Ich kann deinen Ausführungen folgen. Danke, sehr spannend.

Es ist auch keine ganz neue Diskussion um diese “Dichotomie” in der neueren Zeit. Es gibt selbstredend auch Kräfte, die ein Interesse an einer Auflösung oder Schwächung des Begriffs  “Arbeitnehmer:innen” haben. Allerdings nehme ich auch wahr, dass deine Arbeit und auch die Arbeit andere aus einer positiven Motivation heraus resultieren. Ich denke, dass hier ein entscheidender Punkt liegen könnte, der helfen würde, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.

Die Art wie wir arbeiten hat sich echt verändert, aber die Regeln haben sich wenig angepasst. Neue Arbeitsformen sind hinzugekommen, wir reden und denken über Arbeit allerdings wie vor Jahrzehnten und dies scheint einfach nicht mehr so richtig zu passen. Es gibt zwar immer noch “die Arbeitgeberin”  und “den Arbeitnehmer”, aber die sind längst nicht mehr so typisch wie früher.

Dieses Problem hat auch dazu geführt, dass die Vertretungen, wie Betriebsräte und Gewerkschaften, nicht mehr alle richtig repräsentieren können. Sie kümmern sich hauptsächlich um die traditionellen Jobs, aber es gibt immer mehr Leute, die irgendwie dazwischen liegen und die fallen oft durchs Raster. Das führt auch dazu, dass viele Leute keinen richtigen Schutz haben.

Gewerkschaften versuchen meistens, die alten Regeln beizubehalten und vielleicht ein bisschen zu erweitern. In einigen Ländern gibt es sogar eine Art Zwischenkategorie für Menschen, die weder ganz Angestellte noch ganz Selbstständige sind. Aber andere sagen, dass wir den Schutz bei der Arbeit ganz anders denken müssen, unabhängig davon, ob jemand angestellt ist oder nicht: 

Das deutsche Arbeits- und Sozialrechts ist an den Begriff “Arbeitnehmer:in” gebunden. Es scheint mehr und mehr strittig zu werden, ob die digitalisierte Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft andere Formen von Arbeit hervorbringt. Falls wir uns dieser Annahme anschließen und der Status “Arbeitnehmer:in” nicht mehr passen sollte, müssten wir uns fragen, ob daraus nicht Schutz- wie auch Solidaritätsproblem erwächst?! 

Insgesamt erscheint es mir so, dass ungeachtet des Strukturwandels von Arbeit das soziale Schutzrecht weitgehend den Grundprämissen des traditionellen Arbeitsrechts verhaftet geblieben ist: In der Dichotomie der vertraglichen Arbeitgeber*in – Arbeitnehmer*in – Beziehung.

Gewerkschaften haben eine lange Tradition und auch New Work wird uns weiterhin begleiten. Ich glaube, es könnte lohnenswert sein, die Gemeinsamkeiten, die es schon gibt, zu stärken und gemeinsame Perspektiven zu prüfen. 

Deshalb hier noch ein paar Fragen an Dich:

Siehst du einen Mehrwert in einem breiter aufgestellten Austausch zwischen Gewerkschafts- und Sozialverbandsvertreter*innen und Personen, die New Work vorantreiben?

Wie lässt sich New Work für (das Standard-Mitglied der Gewerkschaften) produktiv machen? Welche Chancen oder vielleicht auch Risiken hat es für Beschäftigte eines Automobilzulieferers? Wie kann es auch Menschen in Teilzeit und mit Care-Aufgaben ermöglicht werden zu partizipieren?

Joana wird in einem 2. Blogpost auf diese Fragen eingehen. Sei gespannt.

Wie können wir in einer Welt, die von Stapelkrisen und existentieller Unsicherheit geprägt ist, stabil und kreativ bleiben?

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