In den letzten Wochen haben wir – Anjet,. Bettina, Jana und ich – uns auf eine innere Forschungsreise begeben. Wie in Wir forschen – was vermeide ich im Leben ? beschrieben, wollen wir herausfinden, wie es uns gelingen kann, zugleich unseren Beziehungsraum zu wahren und zu vertiefen und zugleich gemeinsam gestalten und manifestieren zu können. Denn sehr oft erleben wir diese beiden Aspekte als Gegensätze: entweder sind Gruppen sehr gut darin, gemeinsam Projekte auf den Weg zu bringen. Doch oft fühlt sich dann die Beziehung untereinander etwas funktional an. Oder aber Gruppen legen viel Wert auf die Beziehungen zueinander, tun sich aber schwer damit innovativ und produktiv zu sein. Wir möchten herausfinden, wie beides gemeinsam gelingen kann: dass wir uns tiefer aufeinander beziehen UND zusammen co-kreativ tolle neue Sachen gestalten können.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund für diese Erforschung: die Welt verändert sich gerade so rapide, das wir das Bedürfnis haben, selbst einen Wachstumsschritt zu gehen, um Angebote erstellen zu können, die wirklich in unsere Zeit passen. Denn manche Aspekte der Kurse, Texte und Begleitungen, die wir vor zwei Jahren angeboten haben, und die damals genau richtig erschienen und auch auf entsprechende Resonanz im Außen trafen, fühlen sich nicht mehr so frisch und passgenau an.
Das erste Treffen: Was blende ich in mir aus?
In einem ersten Treffen beschäftigten wir uns mit unseren jeweiligen persönlichen Dynamiken. Reihum fragten wir uns: Wie nehme ich mich im Kontakt zu euch wahr? Wo fühle ich mich verbunden? Wo empfinde ich Distanz? Welche eigenen Wahrnehmungen und Bedürfnisse bringe ich in diese Gruppe ein und welche spare ich aus? Wo empfinden wir unsere Zusammenkünfte flüssig und kreativ, wo aber auch holprig und schwach? Und wie leicht oder schwer fällt es uns, mit dem präsent zu sein, was gerade war? Wo können wir die aktuelle Realität annehmen, wo gehen wir aber auch in den Widerstand und wollen die Wirklichkeit anders haben?
Wir starten mit einer gemeinsamen Meditation, die es jeder von uns ermöglichen soll, tiefer in sich anzukommen. Danach teilen wir reihum unsere ersten Eindrücke. Um euch einen Eindruck zu vermitteln, wie diese Übung aussieht, kann ich meinen eigenen Erkenntnisprozess hier skizzenhaft teilen.
Der energetische Imprint meiner Beziehung zu mir und meinen Kolleginnen gleicht an diesem Tag einem Flickenteppich. Zum einen fühle ich mich mit jeder Einzelnen verbunden, aber jede dieser Verbindungen hat ihren eigenen Geschmack. Meinen Beziehungsraum zu Bettina kann ich am klarsten erfassen, was auch damit zusammenhängt, dass wir seit 10 Jahren eng zusammenarbeiten und ziemlich genau wissen, was wir vom anderen erwarten und wie wir co-kreativ sein können. Meine Beziehung zu unserer Vierergruppe ist etwas unebener und ich kann spüren, dass ich mich in verschiedenen Bereichen von meinen Kolleginnen distanzierte. So merkte ich, dass ich mich selektiv auf bestimmte gemeinsame Projekte einlasse, andere aber innerlich umgehe. In unserem gemeinsamen Arbeitsprozess zeige ich bestimmte Facetten und verberge andere. Ich vertraue den anderen in Bezug auf viele persönliche Themen und kann mich verletzlich und unsicher zeigen. In anderen Feldern ziehe ich mich aber in mich selbst zurück und verhandelte diese mit mir selbst.
Wenn ich etwas tiefer forschte, dann sah ich, dass diese Distanzierungsmechanismen in vielen Gruppen, in denen ich bin, wirken. Ich vertraue wenigen Menschen, dass sie den gleichen Radius von Realität in sich abbilden und mir in bestimmten Bereichen, die mir sehr wichtig sind, ein Gegenüber sein können. Ich ziehe mich dann auf ein Podest zurück, auf dem nur ich stehe. Von dort aus gesehen sind viele andere Menschen nicht gut genug, nicht interessant genug. Von diesem Platz aus habe ich Angst, meine Identität zu verlieren, wenn ich mich zu tief auf andere Menschen einlasse. Zugleich spüre ich die Einsamkeit, die dieser Platz mit sich bringt.
Biographisch macht das für mich viel Sinn. Als Kind habe ich die Erfahrung gemacht, dass mein enges Umfeld mit vielen meiner Facetten nicht in Resonanz ging. So rettete ich mich in einen Spezialstatus und ging davon aus, dass die meisten anderen Menschen mich sowieso nicht verstehen können. Da sich meine Welt nicht sicher und gut und schön anfühlte, schuf ich mir ein Idealbild von mir selbst und meiner Umgebung, dem ich lange – Jahre, Jahrzehnte – hinterher lief. Um die Überforderung, Einsamkeit und den vielen Druck nicht zu spüren, verschwand ich in vielen Tagträumen in eine Welt, in der ich und meine Freunde klug, schön, wohlhabend und emotional abgepudert waren Als Teenager umfasste für mich das nur unzulänglich mit „raffiniert, ausgefeilt“ ins Deutsche zu übersetzende Wort „sophisticated“ dieses Zielbild. Damit einher ging eine bestimmte Ästhetik und Intellektualität, an der ich mich orientierte. Dieses Idealbild war eine erfolgreiche Überlebensstrategie und prägte mich über die nächsten Dekaden. Sie grenzte aber auch sehr viele Lebenserfahrungen aus. In ihr musste vieles Dunkle und Schwierige, aber auch Lebensstile, die meinem hohen Standard an Ästhetik und Geschmack, Umgangsformen und Interessen nicht gerecht wurden, abgewertet werden.
In den letzten Jahren habe ich viel daran gearbeitet, diese Distanzierungsmeachnismen bewusster mitzubekommen. Denn natürlich distanziere ich mich zuerst von vielen Aspekten meines Selbst und dann erst in einem weiteren Schritt, von anderen Menschen.
In unserer Viererrunde sprach ich erstmals sehr offen über diese Dynamiken. Ich musste eine innere Zurückhaltung überspringen, aber der Raum zwischen uns war vertrauensvoll genug, um mich mit diesen Mechanismen zu zeigen und sie auch direkt mit meinen Freundinnen und Kolleginnen auszutauschen. Ich spürte zwar eine gewisse Scham und Unsicherheit, ihnen direkt zu sagen, dass ich mich und sie in manchen Bereichen abwerte, aber einmal ausgesprochen beruhigte sich mein Nervensystem sofort. Als ich dann auch noch von ihnen das Feedback bekam, wie gut es ihnen tat, dass ich Dinge ausspreche, die sie sowieso latent immer gespürt hatten, aber jetzt explizit ausgesprochen hörten, vertiefte sich der Beziehungsraum zwischen uns für alle spürbar.
Innerhalb von drei Stunden beschrieb jede von uns ihre eigenen Mechanismen der Distanzierung. Im Anschluss tauschten wir uns über das Gehörte aus, spiegelten bestimmte Aspekte, ordneten sie präziser ein und überwanden dadurch spürbar unsere konventionellen Grenzen zueinander.
Die zweite Session: Mehr Ausgeschlossenes in den Beziehungsraum reinholen
Einen Monat später, beschlossen wir die Forschung einen Schritt weiter zu treiben. Wir fragten uns: Was würde entstehen, wenn wir uns auf dem neuen, mehr miteinander verbundenen Raum zwischen uns einstimmten? Könnten wir in unseren Austausch mehr bislang Ausgegrenztes einbeziehen und würde daraus ein neuer Impuls für unsere Arbeit entstehen?
Wir begannen mit einer Runde, in der jede von uns nochmal die Erkenntnisse der letzten Session wachrief und beschrieb, welche Distanzierungsdynamiken uns begegnet waren. Darauf folgte eine weitere Runde, in der wir uns fragten, wie der nächste gemeinsame Schritt unserer Vierergruppe in Bezug auf unsere verschiedenen Projekte und Kollaborationen aussah. Wir kamen an einen Punkt, an dem Anjet, Bettina und Jana plötzlich offensichtlich sehr energiegeladen über ihre eigenen Grenzen sprachen und skizzierten, wie ein nächster Schritt für sie aussehen könnte. Dabei beschrieben sie nicht konkrete Arbeitsprojekte, sondern fassten einige diesen zugrundeliegenden inneren, energetischen Bewegungen zusammen. Ich verfolgte den lebendigen Austausch, fühlte mich selbst aber seltsam unbeteiligt. Ich verstand gar nicht richtig, was sie sagten und wieso plötzlich so viel positive Energie im Raum war. Ich hörte ihnen und meinem inneren Dialog weiter zu. Er ging in zwei Richtungen, in Selbstzweifel und in Abwertung. War ich zu dumm, um mitzukriegen, was gerade Spannendes gesagt worden war? War meine eigene subtile Wahrnehmungsfähigkeit zu grob? Aber auch: Diese therapeutische Sprache nervt. Wenn wir uns so kryptisch ausdrücken, würden wir nie für größere Gruppen anschlussfähig sein.
Dann fragte jemand: “Und Joana, wie geht es Dir gerade mit unserer Diskussion?” Ich sagte ehrlich, dass ich mich abgehängt fühlte und nicht wirklich verstand, über welchen nächsten Schritt in unseren Gemeinschaftsprojekten die anderen sprachen. Daraufhin teilte Bettina ihre Wahrnehmung des Gruppenprozesses: Konnte es daran liegen, dass ich in dem Bereich, den die anderen drei gerade brennend interessierte, wenig offene Fragen für mich hatte? Da es bei dem nächsten Schritt um eine Frage zur Manifestationskraft ging und dies eine meiner Stärken ist, erzeugte das Thema bei mir nicht die gleiche Resonanz. Zugleich stellte Bettina die Hypothese auf, dass Jana, Anjet und sie in ihren Sharing eine Herzfrequenz berührt hätten, die sich mir wiederum nicht leicht erschließt. Während Bettina sprach, fielen meine offenen Fragen und Selbstzweifel sogleich an ihren Platz. Ja, mit dieser Einordnung konnte ich total viel anfangen.
Nachdem wir auf diese Art mich wieder enger in den Gruppenraum einbezogen hatten, fühlte ich mich den anderen und unserer Diskussion wieder sehr eng verbunden. Doch interessanterweise erzeugte dieser Austausch bei Jana ein Störgefühl: War sie zuvor hochgradig energetisiert gewesen, fiel sie jetzt durch meine Distanzierung aus unserem Viererraum heraus. Nachdem Jana ihre Störung mitteilen konnte, schloss sich der Beziehungsraum erneut.
Zum Ende der Session versuchten wir die Dynamiken zwischen uns nochmals zu beschreiben: Jedes Mal, wenn sich eine von uns aus dem Beziehungsraum zurückzog, z.B. weil wir an unterschiedlichen Grenzen und Entwicklungsschritten dran waren, drohte der gemeinsame Raum zu fragmentieren. Wenn es uns dann jedoch gelang, die Distanzierung aufzudecken, vertiefte sich der Beziehungsraum zwischen uns spürbar. Es ging also darum, Lücken und Fragmentierenden in uns und zwischen uns zu fühlen, sie miteinander zu teilen und wenn möglich einzuordnen. Dadurch verfestigte und vergrößerte sich der Raum zwischen uns.