Erweiterte Führungsspannen führen oft zu Konflikten
Eine beliebte Umstrukturierungsmaßnahme in Unternehmen ist es, die Führungsspanne zu erweitern und die Anzahl der einer Führungskraft unterstellten Mitarbeiter zu vergrößern. Das spart zum einen Geld, da ein Manager jetzt mehr Direct Reports abdeckt. Es reduziert zum anderen die Komplexität für die höheren Ebenen, müssen sie doch jetzt mit weniger Mitarbeitern Führungskräften sprechen. Doch was auf den höheren Ebenen für Entlastung sorgt, führt bei den Führungskräften auf den unteren Ebenen meist zu einer Mehrbelastung, da sie mehr Mitarbeiter und deren Arbeit und Entwicklung managen.
In dieser Situation haben viele Unternehmen die Idee Elemente der Selbstorganisation einzusetzen. Sie hoffen so den durch die größere Leitungsspanne entstandenen Arbeitsdruck zu verringern, da mehr Mitarbeiter sich selbstverantwortlich führen und weniger Reportings notwendig sind. Der Schritt entspricht zudem dem Trend Hierarchien zu verflachen.
Doch was auf den ersten Blick logisch und sinnvoll erscheint, ist oft in der Praxis mit überraschenden Hürden und Herausforderungen verbunden. Viele Unternehmen machen die Erfahrung, das neue Reibungen zwischen den unterschiedliche gemanagten Unternehmensteilen entstehen, denn Selbstorganisation und funktionale Hierarchie folgen unterschiedlichen Logiken, die – soweit sie den Teilnehmern nicht explizit bewusst sind – aufeinander prallen.
Was geschieht an dieser Stelle?
Eine erweiterte Führungsspanne ist ein klassisches Instrument funktionaler Hierarchien, deren maßgebliches Ziel es ist Arbeit effizienter und effektiver zu gestalten. In diesem Fall also mehr Arbeit durch weniger Menschen umzusetzen. Die Führungskräfte stellen aber immer noch die gleichen Erwartungen an ihre Mitarbeiter (oft das mittlere Management), d.h. sie gehen davon aus, dass die Leiter selbstorganisierter Teams genauso in nun reduzierte Anzahl an Führungskräften so gut über alles informiert sind, wie in der Vergangenheit und dementsprechend ihren Vorgesetzten Bericht erstatten können.
Wenn wir unser AQAL heranziehen, das Modell, was uns hilft Wandel ganzheitlicher zu verstehen, dann sehen wir, dass sich durch die erweiterte Führungsspanne die Ebene der Prozesse und Strukturen verändert hat, alle anderen Aspekte aber gleich geblieben sind. Wenn sich auf den anderen Ebenen nichts verändert, führt dies vor allem zu der oben beschriebenen Überbelastung der neuen reduzierten Direct Reports, die z.B. im Burnout enden kann.
Führen einzelne Teams in Unternehmen jetzt jedoch Elemente von Selbstorganisation und agilem Projektmanagement ein, verändern sich unweigerlich auch die anderen drei Quadranten. Ein zentrales Merkmal von Selbstorganisation ist es nämlich, dass Aufgaben nicht mehr „von oben“ angeordnet, sondern selbstverantwortlicher im Team verteilt werden. Entscheidungen verlagern sich vom Vorgesetzten auf die Mitarbeiter, die in dem speziellen Bereich als besonders kompetent angesehen werden. Im Zuge dessen werden Teammitglieder wesentlich selbstständiger und auch nach außen hin zu primären Ansprechpartnern. D.h. ein Kunde will jetzt vielleicht nicht mehr den „Chef“ sprechen, sondern den ihm bekannte, kompetenten, selbstverantwortliche Mitarbeiter wird zum primären Ansprechpartner.
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Im ersten Teil dieses Blogposts beschrieben wir, wie zwischen unterschiedliche gemanagten Organisationsteilen (hierarchisch und selbstorganisiert) oft Spannungen entstehen, weil unterschiedliche Grundannahmen zu Führung und Arbeit aufeinander stoßen. Hier geht es darum diese Konflikte näher zu beleuchten und herauszufinden, wie wir sie produktiv lösen können.
Häufige Missverständnisse …
Innerhalb eines Teams lässt sich diese neue Aufgabenteilung oft gut leben. Doch an den Schnittstellen zur restlichen Organisation beginnt es zu knirschen. Denn die alte funktionale Hierarchie stellt an die selbstorganisierten Unternehmensteile die gleichen Erwartungen wie zuvor. So gehen Vorgesetzte davon aus, dass ihre die bestehenden Führungskräfte als Ansprechpartner über alle Aktivitäten ihrer Teams und allen wichtigen Themen voll aussagefähig sind. Doch nicht nur kann das der Manager gar nicht mehr leisten, es widerspricht auch dem Prinzip der Selbstorganisation.
Aus der Sicht der alten Führungsriege erscheint die selbstorganisierte Arbeitsweise ineffizient und schlecht beherrschbar. Die neuen Teams scheinen der Kontrolle durchs Top-Management zu entgleiten, weiss dieses doch nicht mehr was genau wer wann und wie macht. Die selbstorganisierten Teile wiederum fühlen sich durch die Kontrollbedürfnisse ihrer Führung gegängelt und beschränkt und mißtraut. und die nun mehr Verantwortung übernehmenden Mitarbeiter oft in Ihrem Beitrag nicht gewertschätzt.
Aus Unternehmen, in denen diese verschiedenen Führungsformen co-existieren, kennen wir die Dilemmata aus beiden Perspektiven. Die hierarchisch aufgestellte Führungsmannschaft ist mit einem Ansprechpartner konfrontiert, der beispielsweise sagt:
„Zu dem Thema kann ich nichts konkretes sagen. Darum kümmert sich mein Mitarbeiter X.“
„Diese Entscheidung kann ich nicht treffen, denn dies ist Ys Kompetenzbereich.“
„Ihren Vorschlag kann ich nicht direkt annehmen, trage ihn aber gerne ins Team“.
Kein Wunder, das die Führungskraft auf der oberen Ebene das Gefühl hat, keinen festen Griff mehr auf diese untere Arbeitsebene zu haben. Sie fühlt sich unsicher und hat oft auch Angst für Fehler zu haften. Dies kann dann zu einem nochmals gesteigerten Wunsch nach Überwachung, beispielsweise in Form von weiteren Reportings, führen. Diese fühlen sich aber für das selbstorganisierte Team und die Schnittstelle als extrem ineffizient an, da die Reportings nicht der eigenen Steuerung, sondern der Kontrolle dienen.
Dementsprechend fühlt sich auch das selbstorganisierte Team mit der Situation unwohl. Sie sehen ihre neu gewonnene Eigenständigkeit mißachtet (auf die sie stolz sind) und fühlen sich in ihrer verteilten Kompetenz nicht gesehen. Teammitglieder beschweren sich dann oft untereinander und sagen:
„Die verlangen von uns Sachen, die überhaupt keinen Sinn machen und völlig ineffizient sind.“
„Sie sehen nicht, dass wir exzellente Arbeit machen.“
„Alle Lorbeeren bekommt unsere Führungskraft, dabei machen wir doch die ganze Arbeit“.
… können aufgelöst werden
Diese gegenseitigen Missverständnisse können in unserer Erfahrung nur aufgelöst werden, wenn beide Seiten sich selbst und den anderen besser verstehen. Funktionale Hierarchien und Selbstorganisation sind Ausdruck unterschiedlicher Wertesysteme und Grundannahmen über Führung und Zusammenarbeit und es gilt diese gegenseitig transparent zu machen. In dem hier skizzierten Szenario geht es der oberen Führungsebene darum, möglichst effizient das Unternehmen zu führen und es verantwortungsvoll zu steuern. Dafür gehen sie davon aus, das sie möglichst viele Informationen haben müssen und wichtige Entscheidungen von einigen wenigen Mitarbeitern gefällt werden.
Im selbstorganisierten Team wiederum werden Entscheidungen dort getroffen, wo die meiste Kompetenz vorhanden ist. Prozesse und Strukturen sind wesentlich flexibler und bilden sich je nach Situation neu. Dafür ist es notwendig viel mehr offen miteinander zu kommunizieren und zu wissen, wer welche Kompetenzen hat. Dadurch haben diese Teams oft einen größeren Vertrauensraum entwickelt.
Es ist nicht einfach, die Schnittstellen zwischen diesen unterschiedlichen Organisationsformen zu managen. Dabei helfen klare Absprachen und ein gegenseitiges Verständnis was der andere zum guten Arbeiten jeweils braucht. Dabei reicht es nicht alleine das andere Modell intellektuell zu verstehen. Vieles hat auch damit zu tun, dass man dem System emotional vertrauen lernt, statt es intuitiv abzulehnen. Selbstorganisierte Teams können ein Verständnis dafür entwickeln, was hierarchisch sozialisierte Führungspersonen brauchen um sich orientiert zu fühlen, während letztere wiederum den Mehrwert von Selbstorganisation schätzen lernen können.
Joana Breidenbach, Bettina Rollow
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