30% aller deutschen ArbeitnehmerInnen haben in den letzten zwei Jahren überwiegend von Zuhause aus gearbeitet. Viele von ihnen haben ihre Chefinnen, Kollegen und Mitarbeiterinnen, aber auch Kunden oder Zulieferer seit Wochen, Monaten oder gar Jahren nicht mehr persönlich gesehen. Wie ist es ihnen dabei ergangen? Und was bedeutet der Wechsel ins Remote Office für New Work?
Liest man die offiziellen Studien zum Thema, dann ist die Bilanz gemischt. Nach dem ersten Schock waren viele Teams erstmal positiv erfreut, wie gut der Wechsel vom analogen ins digitale gelang. Viele machten die Erfahrung, Beruf und Familie aus dem Home Office besser, da flexibler, miteinander vereinen zu können. So überrascht es nicht, dass heute nur noch jeder 10. Arbeitnehmer nach der Pandemie komplett in die Präsenzarbeit zurückkehren möchte. 90% dagegen wünschen sich, die Arbeit zu Hause im aktuellen oder etwas niedrigeren Umfang (2 Tage) beizubehalten.
Zugleich stellt uns Remotearbeit vor neue Herausforderungen. Manche von ihnen werden öffentlich diskutiert: die offensichtliche Überforderung vieler Familien. Die langfristigen Gefahren für die Erwerbsverläufe von Frauen. Stark zunehmende Einsamkeit und Depressionen unter Alleinstehenden.
Effizient aber überfunktional
Zusätzlich beobachten wir andere Schwierigkeiten, die eher subtil und leise daherkommen. Zwar haben wir analoge Meeting-, Reporting- und Entscheidungsstrukturen meist erfolgreich in den digitalen Raum übertragen. Aber wir haben keine adäquaten Äquivalente für die wegfallenden kleinen Interaktionen auf dem Flur, in der Teeküche oder Kantine, entwickelt. Die wenigsten Unternehmen haben sich darum bemüht, neue, digitale Räume für Beziehung, Kontakt und Austausch aufzubauen.
Noch ist es uns gelungen, Zoom Calls so zu gestalten, dass wir uns von Mensch zu Mensch begegnen. Viele denken, digitale Kommunikation sei unweigerlich distanziert und funktional. Dem muss aber nicht so sein. Wir haben viele Beispiele dafür, wie wir den zweidimensionalen digitalen Raum mit Nähe und Präsenz füllen und so dreidimensionale Erfahrungen machen können. Dafür müssen wir uns aber von lieb gewonnenen Glaubenssätzen verabschieden – „digital funktioniert das einfach nicht“ – und mit neuen Ritualen und Routinen, wie Check-Ins, Körperübungen, Pausen und Reflexionsrunden experimentieren.
Wenig verwunderlich empfinden viele MitarbeiterInnen ihren Arbeitsalltag, reduziert auf eine unendliche Reihe von online Meetings, zwar als effizient, aber auch überfunktional. Wir kriegen die Arbeit geschafft – auch weil wir alle deutlich länger als zuvor, in Deutschland ganze 30 Minuten täglich arbeiten. Aber uns fehlt der informelle Austausch, der Orientierung gibt, Synergien erzeugt und Inspiration liefert.
Kein Wunder, dass sich viele Mitarbeiter noch weniger zum Unternehmen zugehörig fühlen als vor der Pandemie (und da waren die internationalen Umfragen schon bedenklich). Sie sind wenig motiviert, haben wenig Vertrauen, verlieren ihre berufliche Identität. In den USA spricht man von der Great Resignation, denn noch nie verließen so viele Festangestellte freiwillig ihre Jobs. Auch hierzulande empfinden immer mehr Menschen ihren Job als sinnlos und frustrierend: jeder 4. Angestellte kündigt, ohne eine neue Stelle zu haben. 37% der Beschäftigten denken über einen Wechsel nach.
Viele Menschen machen die Erfahrung, dass sie sich in den letzten zwei Jahren verändert haben, ihr Unternehmen aber die gleichen geblieben sind. Sie erzählen von intransparenter, unpersönlicher Kommunikation und ungelösten latenten Konflikten. Von langsamen Prozessen und aufgeschobenen Entscheidungen.
Eigentlich liegt es auf der Hand: wenn wir alle an verschiedenen Orten sind, müssen wir auch in unseren Abläufen und Entscheidungsprozessen dezentraler werden. Doch das bedeutet eine echte Transformation hin zu New Work.
Remote ist noch lange nicht New Work
Nun wird remote arbeiten gerade mit New Work gleichgesetzt. Dabei haben die meisten Unternehmen ihre analogen Prozesse 1:1 ins digitale übersetzt, ohne sie anzupassen. Deshalb: Nein, Home Office und flexiblere Arbeitszeiten allein machen noch kein New Work. Erst wenn wir neue Strukturen entwickeln und insbesondere Entscheidungsprozesse dezentralisieren, können wir von neuen Arbeitsformen sprechen.
Genau darum geht es in unser Definition von New Work: Entscheidungen werden in Unternehmen nicht mehr vorwiegend an der Spitze, sondern dort getroffen, wo die relevanten Kompetenzen und Informationen liegen. Mitarbeiterinnen werden ermächtigt maßgeblich mit, oder ganz selbst zu gestalten. Verantwortung und Macht wird viel breiter im Unternehmen verteilt.
Doch damit dies gelingt, bedarf es einiger Voraussetzungen: Mitarbeiter müssen sich selbst einschätzen und reflektieren können. Wissen, welche Kompetenzen sie haben und welche nicht. Einschätzen, welche Informationen sie brauchen und wie sie sich diese verschaffen können. Teams brauchen einen ausreichend guten Vertrauensraum, damit Menschen klar und offen miteinander sprechen können. Spannungen und Konflikte mutig und konstruktiv auf den Tisch legen – ohne direkt wieder die Führungskraft involvieren zu müssen.
Doch gerade diese kulturellen Elemente und inneren Kompetenzen sind in den letzten zwei Jahren – u.a. in Folge der eingangs skizzierten Dynamiken – noch stärker vernachlässig worden als zuvor.
Auch Mitarbeiterinnen in erfahrenen New Work Unternehmen leiden unter der Pandemie. Aber selbstorganisierte Teams, die gelernt haben sich selbst zu reflektieren und transparent miteinander zu kommunizieren, können die Krise wesentlich besser navigieren und fühlen sich ihren Unternehmungen nicht entfremdet, sondern sogar noch mehr verbunden. Sie können die Spannungen, die im Corona-Alltag unweigerlich entstehen, viel bewusster wahrnehmen und miteinander adressieren. In Folge dessen müssen sie sich in Meetings nicht „zusammenreißen“ und professionell-funktional agieren, sondern können sich viel ganzheitlicher zeigen. Solche Teams unterstützen und motivieren sich gegenseitig. Sie sind aufeinander bezogen, statt einsam allein zu Haus.
Der Wechsel zu Remote Work kann also beides sein: ein freudloses Weiter-So oder ein Sprungbrett für eine neue sinnvolle, dezentralere und menschenzentrierte Arbeitskultur.
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