Ist New Work gescheitert? fragten wir jüngst in einem vielbeachteten Social Media Post. In dieser Artikelserie werden wir dem aktuellen Stand von neuen Formen der Führung und Arbeit nachgehen und erforschen, was es von einer entfaltenden Organisation braucht, damit wir nicht in überkommene und sogar gefährliche alte Führungsformen zurückfallen, sondern den nächsten sinnvollen Schritt in unserer Arbeitswelt gehen.
In unserem eigenen Umfeld hören wir immer öfter von Menschen, die von ihren Veränderungsprozessen frustriert und enttäuscht sind. Die New Work und Agilität, also flachere Strukturen und Prozesse, umgesetzt haben, aber jetzt den Eindruck haben, dass sie ihre PS nicht wirklich auf die Straße bringen. Das die Mitarbeiter nicht mitziehen. Das nach langen Meetings mittelmäßige Entscheidungen gefällt werden, die niemanden motivieren. Das die Kolleginnen noch gestresster sind als früher und die Fehlzeiten auf ein Rekordhoch gestiegen sind.
Ein Blick in die Nachrichten, aber auch auf Jobportale wie LinkedIn vergrößert die Angst. Zusätzlich zu belastenden weltpolitischen Themen wie Krieg, Klima und Inflation, kämpfen viele Arbeitnehmer, ausgelöst durch die Entlassungswellen in großen Technologieunternehmen und Insolvenzen von Startups, mit dem Absturz. Angesichts dieser Krisensignale und großer Unsicherheiten machen viele Manager die Biege und kehren zu hierarchischen Strukturen, mehr Überwachung und Kontrolle zurück.
New Work ist gescheitert? Und macht Inner Work alles nur noch schlimmer?
In diesem Arbeitsumfeld stellt sich die Frage nach der Rolle von Inner Work. Mitarbeiter, die in den letzten Jahren gelernt haben, sich mehr als ganze Menschen zu zeigen und ihre Teams flexibler über Kultur und Kommunikation (statt über starre Strukturen und Prozesse) zu führen, sehen sich damit konfrontiert, dass sie viel Negativität auffangen müssen. Denn Menschen in entfalteten Organisationen sprechen offener über ihre Ängste und ihre Überforderung und die resultierende Stimmung trägt nicht unbedingt zur anpackenden Mentalität eines Wirtschaftsunternehmens bei. Müssen wir uns also wieder zusammenreißen und unser Inneres an der Bürogarderobe abgeben?
Arbeiten und Sein im Paradigmenwechsel
Nun liegt es auf der Hand, dass es in vergleichsweise ruhigen und sicheren Zeiten einfacher ist, neue Impulse wie New Work und Inner Work umzusetzen. Wenn dagegen die Grundfesten unserer Welt ins Wanken geraten, ist die automatische Reaktion dann die Regression: Lasst uns wieder ins Alte, Bekannte zurückkehren. Damals lag zwar auch vieles im Argen, aber so schlimm wie jetzt war es nicht.
Doch ein Zurück ist nicht möglich, denn die sehr spürbaren Folgen der Klimakatastrophe, die Rückkehr autokratischer Herrscher in allen Teilen der Welt, ebenso wie die Corona Jahre haben uns gezeigt, wie instabil und kaputt die Fundamente unserer Systeme sind. Wir sind mittendrin in einem riesigen Umbruch und müssen diesen nach vorne gestalten.
In unserem Verständnis sind New Work, fluide, kompetenzbasierte Hierarchien und Inner Work keine vorübergehenden Modeerscheinungen, sondern Teil eines umfassenderen Paradigmenwechsels, der alle Facetten und Bereiche des Lebens betrifft. Im Zuge dieser Veränderung werden wir uns mehr bewusst, was wir bisher alles ausgegrenzt haben und was wir jetzt einbeziehen müssen: wesentliche Facetten unserer Persönlichkeit (zarte, verletzliche Aspekte), große Teile unserer Gesellschaft (diskriminierte Bevölkerungsgruppen), ebenso wie essentielle Umweltfaktoren wie Luft, Wasser, Energie.
Wenn wir also schon auf dem Weg sind, was ist dann der nächste sinnvolle Schritt?
Durch den Schmerz durch
Aus der therapeutischen Arbeit wissen wir, dass wir uns in Krisen mit unseren Verletzungen und inneren Spannungen beschäftigen müssen. Oft haben wir Kompensationsmechanismen entwickelt, die es uns ermöglichen, genau dieser inneren Konfrontation aus dem Weg zu gehen. So intelligent diese Kompensationen und Ablenkungen zu einem (oft früheren) Zeitpunkt unseres Lebens waren, so wenig helfen sie uns heute dabei, Lösungen zu entwickeln. Um den aktuellen Krisen und Herausforderungen um uns und in uns neu zu begegnen, müssen wir lernen, uns auf unseren inneren Schmerz neu zu beziehen. Was nichts anderes bedeutet, als uns darin zu fühlen und gleichzeitig unsere innere Kapazität zu erweitern, die es uns erlaubt trotz Schmerz, Angst oder Trauer geerdet, orientiert und handlungsfähig zu bleiben. Für uns ist diese Kapazität der Gleichzeitigkeit – also widersprechende Emotionen, Wahrnehmungen und Zustände in uns fühlen zu können und gleichzeitig so orientiert und handlungsfähig zu bleiben wie möglich, einer der wichtigsten Schlüsselkompetenzen für die Zukunft.
Für viele von uns ist dies ein herausfordernder und gleichzeitig unglaublich befreiender Wachstumsprozess. Befreiend, weil wir so viel mehr am Leben teilhaben können. Denn je mehr wir uns fühlen, um so mehr fühlen und inkludieren wir die Welt um uns herum in unserem Erleben und damit auch in unserem Handeln. Oder umgekehrt formuliert: je weniger müssen wir andere Meinungen, Lebensstile, Menschen und Kulturen ausschließen. Je weniger müssen wir die Welt in “richtig” oder “falsch” unterteilen. Je ganzheitlicher wir das Leben in uns fühlen und verarbeiten, desto mehr können wir zu neuen Möglichkeiten und Lösungen für die aktuellen Krisen beitragen.
In den letzten Jahren hat sich in der Psychotherapie-Szene die Erkenntnis durchgesetzt, dass es oft nicht genug ist, diesen Prozess auf unsere eigene Biografie zu beschränken. Sondern, dass wir darüber hinaus auch ein Bewusstsein für intergenerationelle und kollektive Verletzungen entwickeln müssen. Denn Trauma schränkt unsere Fühl-, Beziehungs- und Gestaltungsfähigkeit als ganze Gesellschaft ein. So sind wir alle in eine Kultur voller tauber und beziehungsloser Stellen hineingeboren und perpetuieren diese in Form von Selbstzweifeln, Diskriminierungen und Kompensationshandlungen. Wir nennen das dann zwar „Pragmatismus“, „meine Weltsicht“ oder sagen: „so ist die Welt nun mal“, aber eigentlich fügen wir uns und unserer Umwelt tagtäglich viel Leid zu, indem wir uns nur sehr selektiv auf bestimmte Aspekte der Realität beziehen können und alles andere ausgrenzen und abwerten müssen.,
Unsere verletzte innere Architektur spüren wir in Form von innerer Enge, überreizten Nervensystemen, Hoffnungslosigkeit, unbefriedigenden Beziehungen und den vielen anderen Symptomen, die unsere Gesellschaft prägen. In Selbsterfahrungsgruppen, in Therapie und in spirituellen Gemeinschaften lernen Menschen, sich ihren Wunden anzunehmen und ihre Resonanzfähigkeit mit sich und ihrer Umwelt zu vergrößern. Im Zuge dieser Entwicklung vergrößern sie ihre Kapazität zur Gleichzeitigkeit und damit ihre Fähigkeit sich auf größere Ausschnitte und Facetten der Welt zu beziehen und in ihre Handlungen und Lösungsansätze einbeziehen zu können.
Im zweiten Teil dieser Serie wenden wir uns einigen Verletzungen der Vergangenheit zu und erforschen die resultierende Orientierungslosigkeit und wie wir ihr begegnen können.
Am 18.& 19. November veranstalten wir einen 2-Tages-Workshop in Berlin. Unter dem Motto “Jetzt erst recht. Mit Inner Work Krisen erfolgreich navigieren” erforschen wir mit bis zu 30 Teilnehmerinnen die Rolle von Inner Work in der Transformation. Der Workshop beschäftigt sich sowohl mit Krisen in Organisationen und der Arbeitswelt, als auch auf der persönlichen und gesellschaftlichen Ebene. Tickets gibt es hier auf Eventbrite.