Die Unternehmung auf der Couch, Teil 2

Generiert mit Midjourney

Im ersten Teil dieser Artikelserie teilten wir unsere Beobachtung, dass New Work an einem Kipppunkt steht. Wie Individuen, die durch eine Krise gehen, müssen auch Unternehmen sich ihren Wunden stellen, statt sie durch Aktionismus zu kompensieren oder in alte Führungsmodelle zu regredieren. 

Ebenso wie Individuen in der Krise einen bestimmten Erkenntnis- und Heilungsprozess durchlaufen müssen, so ist dieser auch für kollektive Bereiche, für unsere Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wichtig. Doch das ist schwer, denn viele Grundannahmen, auf denen z.B. Unternehmen aufbauen, widersprechen einer ganzheitlichen Perspektive. Erfolg, so wie wir ihn herkömmlich definieren, basiert genau auf der Exklusion vieler Aspekte, die wir jetzt wieder bewusst integrieren müssen. So gehören die „erfolgreichsten“ Unternehmen zu denen, die der Umwelt (Öl, Gas etc.) und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt (Social Media Plattformen, Amazon etc.) am meisten Schaden zufügen.

Orientierungslosigkeit anerkennen

Ein erster Schritt zur Heilung dieser kollektiven Wunden ist, wie in jeder guten Organisationsentwicklung, die Standortanalyse. Die beinhaltet, dass ich mich radikal ehrlich auf die Gegenwart beziehe und anerkenne, was gerade in mir, meinem Team und der Unternehmung als Ganzes abläuft.

An dieser Stelle fällt es den meisten von uns wahrscheinlich leicht, etwas Kluges zu sagen. Aber ich möchte Dich herausfordern: Weisst Du wirklich gerade, was in Dir und in Deiner Organisation vor sich geht? Wir selbst, aber auch viele unserer Gesprächspartnerinnen, Kunden und Klienten sind gerade nämlich oft ziemlich orientierungslos. Wir haben nur ein höchst diffuses Gefühl, was gerade in uns abläuft und wohin unsere Reise sinnvoller Weise gehen könnte.

Sich dies einzugestehen ist in einem Unternehmen oft extrem schwierig. Kann ich als Vorstand oder Topmanagerin mit einem Millionengehalt wirklich sagen: Ich weiss gerade nicht, wohin sich unsere Unternehmung und der Markt bewegt, worin wir investieren sollen. Ich weiss nicht, welche Organisationsform für uns die passende ist. Ich weiss nicht, welchen Sinn unsere Firma in einer sich so schnell verändernden Welt und Wertelandschaft erfüllt.

Unternehmertum ist für viele von uns gleichzusetzen mit Entscheiden und Umsetzen. Aber wenn sich alles so schnell bewegt und zudem so viel auf dem Spiel steht, wie nie zuvor in meiner Lebenszeit? Wenn Grundsätze, an die ich bis gestern noch geglaubt habe, ins Wanken geraten – zum Beispiel die Wachstumsideologie, der Individualismus, das Fortbestehen der Demokratie – wie finde ich dann meine Richtung? Nach außen steuert meine Unternehmung natürlich auf ein konkretes Ziel zu. Aber spüre ich eine Resonanz zwischen diesem und mir? Machen ständiges Wachstum und auf Effizienz und Leistung ausgerichtete KPIs noch Sinn, wenn ich Fahrradkuriere durch die Straßen hetzen sehe, Wälder brennen und radikale Parteien an Zuwachs gewinnen? Glaube ich noch daran, dass der nächste Urlaub oder das neue Outfit mich persönlich glücklicher machen werden?

Können wir in einem Meeting sitzen und Sätze sagen wie: „Wir wissen gerade nicht, wie wir mit diesem Thema umgehen können. Ehe wir jetzt eine mittelmäßige oder schlechte Entscheidung treffen, lasst uns abwarten, bis wir tiefer verstehen, worum es hier geht. Lass uns erforschen, wieso uns diese Entscheidung so schwer fällt. Liegt es an unseren eigenen Kompetenzen? An unseren strukturellen Grundannahmen? An unserem fehlenden Sinn für die Zukunft? An einer Kluft zwischen den Unternehmenszielen und uns als Team?

Entfaltung statt Aktionismus

Teil der therapeutischen Weisheit ist, dass sich die meisten Dinge nicht von außen bewegen lassen, sondern sich nur von innen heraus entfalten können. Die Therapeutin kann einen Raum schaffen, in dem die Selbstheilung des Klienten stattfinden kann. Aber die eigentliche Arbeit vollzieht sich im Klienten. Oder auch nicht.

Könnten wir dies auch in unseren Unternehmen anerkennen? Dass sich nicht alles erzwingen lässt, sondern sich in einem eigenen Tempo und Rhythmus entwickelt und wir als Unternehmerinnen und Mitarbeiterinnen eher Geburtshelfer sind, denn omnipotente Drahtzieher?

Wenn wir von Heilung sprechen, bedeutet dies aber vor allem auch, dass wir uns den Aspekten des Wirtschaftssystems und Unternehmertum zuwenden, die unsere Welt verletzen. In denen unser Erfolg bewusst oder unbewusst in Kauf nimmt, dass andere Menschen und die Welt Schaden nehmen und leiden.

Alle diese Aspekte stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zu den Grundfesten unserer Wirtschaft, die immer noch auf Aktionismus, Produktivität und Wachstum um fast jeden Preis ausgerichtet ist, aller Nachhaltigkeitsabteilungen und ESG-Reports zum Trotz. Und da wir in einem weltweiten Geflecht operieren ist es auch gar nicht einfach wirklich neue Standards zu setzen, die mehr von dem, was wir bislang ausgegrenzt haben, einbeziehen.

Inner Work als Orientierung

Wenn unsere Analyse in die richtige Richtung geht, dann wäre es sinnvoll, sich viel mehr mit unserer Fähigkeit, uns in einer komplexen Welt zu orientieren, zu beschäftigen. Genau hier spielt für uns Inner Work die zentrale Rolle. Meine innere Stimme, meine Fähigkeit, mit latent und potentiell in der Welt angelegten Bewegungen in Resonanz zu gehen (auch Intuition genannt) ist genau die Ressource, die mir Orientierung verschafft. Mein inneres Gespür für Neugierde, tiefes Interesse und Stimmigkeit zeigt mir, welchen nächsten Schritt ich im Außen gehen kann.

Für uns ist dies eine spirituelle Sensibilität, der zufolge alle Lebewesen in einen größeren Kosmos eingebettet sind, deren Bewegung sich uns immer nur teilweise erschießt und die (in der Begrifflichkeit von Hartmut Rosa) unverfügbar sind, d.h. nicht erzwungen werden kann. Diese Sensibilität geht davon aus. dass die Welt nicht nur aus manifesten, materiellen Strukturen besteht, sondern aus vielen subtilen Informationen, die ich mit meinen „Antennen“, insbesondere meiner Fähigkeit, das Leben nicht nur zu denken, sondern zu fühlen, aufgreifen kann.

Im dritten Teil dieser Artikelserie betrachten wir die Rolle von Macht, Privileg und Diskriminierung in der Arbeitswelt und verweisen  auf eine Gruppe von Organisationen, die uns als Rollenvorbilder dienen können.

INNER WORK SELBST ERLEBEN – PRÄSENZ-WORKSHOP IN BERLIN

Am 18.& 19. November veranstalten wir einen 2-Tages-Workshop in Berlin. Unter dem Motto Jetzt erst recht. Mit Inner Work Krisen erfolgreich navigieren erforschen wir mit bis zu 30 Teilnehmerinnen die Rolle von Inner Work in der Transformation. Der Workshop beschäftigt sich sowohl mit Krisen in Organisationen und der Arbeitswelt, als auch auf der persönlichen und gesellschaftlichen Ebene. Tickets gibt es hier auf Eventbrite.

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