Vor kurzem unterhielt ich mich mit einer Klientin, Führungskraft in einem mittelgroßen Team, über die für New Work notwendigen Kommunikations- und Reflexionskompetenzen. Wir beleuchteten, wie ihr Team innovativer und cross-funktionaler zusammenarbeiten könnte. Was einzelne Teammitglieder dafür bräuchten und wer sich für diese Transformation besonders als Treiber eignen würde. Gegen Ende der Session rief meine Klientin plötzlich aus: „Das ist hier doch dieselbe Schieflage wie im ganzen Bereich von Care Arbeit – nur halt in einem Wirtschaftsunternehmen. Genau wie in Familien und Pflegeberufen, sind es einige wenige Menschen, die sich um Kommunikation, Reflexion und Beziehungen kümmern, während sich viele andere Menschen nicht beteiligen. Und hier wie dort bekommen sie wenig Anerkennung und werden schlechter bezahlt. Und – welch Überraschung – in den meisten Fällen handelt es sich bei den Engagierten um Frauen.”
Ich fand ihre Reflexion so logisch wie tragisch. Denn auch wir sehen, dass es oft Frauen sind, die sich darum bemühen, einen neuen vertrauensvollen Beziehungsraum in Organisationen zu gestalten. Insbesondere zu Anfang einer Transformation, wenn es im Team noch nicht klar ist, wie wichtig Inner Work und eine gute Kommunikationsqualität sind, sind es oft Einzelne, die sich im Team inoffiziell und unentgeltlich dafür engagieren. Sie übernehmen mehr Verantwortung und sind emotional belasteter. Denn wer neue soziale Beziehungen aufbaut und Kommunikationsräume gestaltet, der investiert dafür unweigerlich einen Teil seiner Arbeitszeit und stellt sich mit seiner mentalen und emotionalen Kompetenz zur Verfügung. Wenn dies nicht Teil der offiziellen Rollenbeschreibung ist, fehlt der Mitarbeiterin die Zeit an anderer Stelle. Und wenn sie nicht offiziell beauftragt ist und das Team Inner Work als expliziten Teil seiner Kultur ansieht, dann fehlt ihr zudem auch noch das Mandat für ihre Aktivitäten und sie sieht sich alleine den ganz normalen Widerständen, Spannungen und Konflikten ausgesetzt, die mit jedem Transformationsprozess einher gehen. Ohne Mandat wird sie aber an ihre eigenen Ressourcen gehen müssen und läuft Gefahr, sich selbst zu erschöpfen. Beste Voraussetzungen für ein Burn-out.
Care Arbeit als anerkannter Bestandteil der Teamkultur
Umso wichtiger ist es also, Care Arbeit als einen offiziellen Teil der Team – und Organisationskultur anzuerkennen. Dann ist jedem klar, dass es eine eigenständige Aufgabe ist, Inner Work, Kommunikationskompetenzen und Reflexionsräume aufzubauen und zu pflegen und dass alle Teammitglieder dazu beitragen müssen. Denn jedes Zusammenarbeitsmodell braucht einen bestimmten Anteil an Inner Work – stark hierarchisch strukturierte benötigen weniger, flexible und agile Organisationsformen dagegen sehr viel mehr – von allen Beteiligten. Wenn Teams das ignorieren, entstehen Spannungen, die sich entweder auf die Qualität der Arbeit auswirken oder zur Überlastung einiger weniger Teammitglieder führen, die versuchen, den Widerstand oder die Passivität ihrer Kolleginnen auszugleichen.
Wenn Organisationen lernen, den Grad an Inner Work passend zu ihrem Zusammenarbeitsmodell bewusst zu gestalten – dann nennen wir sie “entfaltete Organisationen”. Denn sie sind in der Lage, das Potential aller beteiligten Personen ganzheitlich zu entfalten und strukturelle Imbalancen zu vermeiden.