Ein Gastbeitrag von Tina Egolf
“Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob ich daran glaube, dass sich Organisationen wirklich verändern können.” Kommt Dir dieser Satz bekannt vor?
Das letzte Mal, dass ich ihn gehört habe, war letzte Woche beim Kaffee mit Isabel, einer erfolgreichen Beraterin aus Süddeutschland, die vor einigen Jahren ihre Corporate Karriere verlassen hat, um als selbständige Beraterin Unternehmen zu mehr New Work, Innovation und Nachhaltigkeit zu verhelfen. Isabel verdient viel Geld mit dem was sie tut. Doch Frustration kennt keinen Kontostand, nicht wahr?
Und Isabel ist kein Einzelfall. Nach dem ersten Schock war die Hoffnung groß, dass mit “the new normal” auch alte Strukturen und Muster nun endlich anfangen würden zu brechen. New Work schien endlich im Mainstream angekommen zu sein. Und tatsächlich ist die Nachfrage nach Büchern, Kursen, Beratern und (gerne leichten) Rezepten, wie man denn nun seinen Purpose und die bessere Arbeitswelt findet, groß – bei Einzelnen und Organisationen.
Doch an den Rändern tritt Verschleiß auf. Denn New Work reiht sich in gewisser Weise auch ein in die endlose Schleife von Change Prozessen, die viele Unternehmen bereits seit Jahren durchleben – von Nachhaltigkeit, über Digitalisierung, Innovation bis hin zu New Work. Und so dringend wir als Gesellschaft vielleicht Veränderung im großen Stil brauchen würden, so mühsam, frustrierend und nicht zu selten ergebnislos sind die Prozesse und Arbeitsschritte, die damit einher gehen. Und so mancher fragt sich dann, nachdem Initiative um Initiative durch’s sprichwörtliche Dorf getrieben wurde, ob im Großen und Ganzen sich seine Organisation wirklich verändern kann.
Es scheint also nicht überraschend, dass mit “New Work” der Ansatz, der für viele die große Hoffnung war, um aus dem alten Trott, der Sinnlosigkeit heraus zu finden, an vielen Stelle an Sinn verliert, da die Ziele so unerreichbar scheinen.
Natürlich gibt es nun viele Perspektiven aus denen man diese Entwicklung erklären kann. Persönlich finde ich für gewöhnlich diejenige am relevantesten, die mir mehr Handlungsspielraum eröffnet.
Und so werden wir im Folgenden zwei New Work spezifische Dynamiken in Organisationen etwas näher beleuchten, die aus meiner Perspektive oft zu Stagnation führen, und mit einem Perspektivenwechsel enden, der einen neuen Dialog jenseits von Frustration ermöglichen kann.
Leerstellen in unserer Geschichte
Doch vorab ein wenig Kontext:
Jeder Mensch hat eine Persönlichkeit, die zum einen gekennzeichnet ist von der konsistente Geschichte, die wir uns darüber erzählen, wer wir sind. Und zum anderen von den Leerstellen dieser Geschichte, also den Dingen, die wir (oft unbewusst) vor uns selbst und der Welt verborgen halten. Organisationskulturen, als systemisches Aggregat individueller Persönlichkeiten, funktionieren interessanterweise nahezu identisch.
Bei Menschen und Organisationen gleichermaßen ist Entwicklung und Reife ein natürlicher Prozess, der, solange er nicht behindert wird, ganz ohne große Bemühungen und “Change Management” stattfinden sollte. Wenn dieser Prozess jedoch nicht reibungslos von statten geht, ist oft eine solche unbewusste Dynamik oder wie C.G. Jung sagen würde, ein “Schatten”, am Werk, der uns im Status Quo stabilisiert und von Anpassung und Entwicklung abhält.
Diese “Schatten” bestehen aus zwei Elementen: Einem zugrundeliegenden Persönlichkeitsaspekt, den wir vor der Welt und uns selbst verborgen halten, weil wir glauben, das er gefährlich ist. Und einem (durchaus sichtbaren) “Wächter”-Mechanismus, der mit aller Kraft sicherstellt, dass dieser Aspekt auch tatsächlich im Verborgenen bleibt.
Ein Beispiel: Wer als Kind gelernt hat, dass mehr Leistung Zuneigung bedeutet, der spaltet den Teil in sich, der nicht leisten kann oder will, ab. Um sicherzustellen, dass dieser vermeintlich “faule Anteil” im Verborgenen bleibt, entwickelt sich vielleicht ein überbordendes Bedürfnis danach anderen zu helfen als Wächter-Mechanismus. Dieser wird einem nun stetig und insbesondere beim kleinsten Anzeichen von Ruhe oder Entspannung einflüstern mit noch mehr Leistung für andere genau das richtige zu tun. Veränderung? Ausgeschlossen.
Und wie oben bereits erwähnt, lassen sich diese Dynamiken auch in Organisationskulturen finden. Eine Organisation, deren Kultur geprägt ist von Heldengeschichten und dem Dopamin-Rush, der entsteht, wenn man die Deadline in letzter Minute doch noch geschafft oder die Krise überwunden hat, findet sich auf einmal in der Situation wieder, dass sie in “Friedenszeiten” wenig Motivation oder Teamgeist aufbringen kann. Sie braucht und schafft unbewusst also Krisen, um wirklich wirksam zu werden, da sie nicht sehen kann oder will, wer sie ohne diesen Druck ist. Das Resultat sind Wächter-Strukturen, die kein “genug” kennen und Leistungsfähigkeit uneingeschränkt glorifizieren. Nachhaltigkeit? Fehlanzeige.
Wenn wir uns nun die Frage stellen, warum Wandel so schwierig ist und was wir dagegen tun können, dann scheint es naheliegend, diese verborgenen Anteile ausfindig machen und “lösen” zu wollen. Doch diese Anteile sind kein “Problem”, das es zu lösen gilt.
Das Ziel von Persönlichkeits- und Organisations-Entwicklung – zumindest in meinem Verständnis – ist kein Zustand in dem alles Verborgene vollständig bewusst und integriert ist. Insbesondere viele dieser Wächter sind in unserer Gesellschaft hoch funktional und ermöglichen uns oft ein Leben geprägt von Wohlstand, Sicherheit und sozialem Status.
Die Aufgabe besteht vielmehr darin die Dynamik zwischen unseren verborgenen Anteilen und den Wächter-Mechanismen zu beobachten und zu verstehen. Insbesondere diese Wächter und damit Widerstände, denen wir so oft begegnen, sind in gewisser Form Botschaften, die uns etwas darüber erzählen können, wie der Weg zu mehr Authentizität und natürlichem Wandel aussehen kann.
Eine Organisation zu entwickeln bedeutet in diesem Kontext also zuallererst die Wächter-Mechanismen und Widerstände dieser Kultur zu erkennen und zu verstehen, was diese zu verbergen versuchen.
Schatten-Dynamiken und New Work: Cultural Bypassing
Die erste der beiden Dynamiken, die wir uns vor diesem Hintergrund ansehen werden, könnte man als “Cultural Bypassing” bezeichnen. Der oder die eine oder andere hat vielleicht schon einmal den Begriff “Spiritual Bypassing” gehört, also die Tendenz ungelöste emotionale Probleme oder schwierige Persönlichkeitsaspekte zu vermeiden, indem man sich umso intensiver mit spirituellen Ideen und Praktiken auseinandersetzt.
Cultural Bypassing kann man entsprechend in Organisationen beobachten, in denen New Work nicht nur eine “andere Form” der Arbeit oder ein Entwicklungs-Tool darstellt, sondern in denen die Vertreter dieser neuen Arbeitswelt New Work als die moralisch überlegene Form stilisieren. In diesen Fällen scheint es nur den einen richtigen Weg zu geben: Hin zu mehr New Work (bzw dem was sie darunter verstehen). Mit Arbeitsgruppen, Visions-Filmen, Buch-Clubs, Team-Events, schlauen Postern und dergleichen wird die schöne neue Arbeitswelt beschrieben und herbeigesehnt. Warum es “so und so” doch viel besser ist als jetzt, kommt jedem guten New Worker in solchen Organisationen leicht von den Lippen.
Und ähnlich wie im Spiritual Bypassing, ist auch hier nichts auszusetzen an der grundsätzlichen Idee von New Work. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist:
Was versuchen wir durch New Work in unserer Organisation zu vermeiden?
Denn ganz oft scheitert Veränderung in diesen Organisationen an zwei Dingen:
Zum einen werden die Wächter-Mechanismen und die Schatten der Kultur nicht ausreichend verstanden und entsprechend einbezogen.
- Was ist beispielsweise der Preis der Veränderung für dieses System?
- Warum ist diese Kultur mit ihren Strukturen überhaupt entstanden und was versucht sie zu beschützen?
- Welchen Aspekt verbergen die Wächter-Strukturen, um das Überleben der Organisation zu sichern?
Wenn die Antworten auf diese Fragen entweder zu mühsam erscheinen oder zu schnell auf der Hand liegen, ist oft auch der zweite Aspekt gegeben:
Die Advokaten des Wandels haben wenig Mitgefühl oder Verständnis für die aktuelle Kultur. Ihr Ziel ist die Veränderung hin zu New Work – nicht die Auseinandersetzung mit dem was jetzt und hier präsent ist in ihrem Unternehmen.
Was daran problematisch ist, formuliert Dr Gabor Maté sehr passend: Only in the presence of compassion will people allow themselves to see the truth. Anders formuliert: Veränderung geschieht nur dort, wo es sicher ist.
Wenn jedoch durch New Work die von Empathie geprägte Auseinandersetzung mit dem “Alten”, vermieden werden soll, dann entsteht Widerstand, da nicht ausreichend Sicherheit zur Verfügung steht.
In manchem, der diesen Abschnitt liest, regt sich vielleicht genau jetzt auch ein Widerstand, der sagt: Warum sollte ich mit einer [setzte negative Bewertung hier ein] Kultur Mitgefühl haben oder diese schützen wollen? Sie stellt doch in sich eine Bedrohung für ihre Mitarbeiter dar. …. Willkommen in deiner eigenen Schatten-Dynamik. Denn die Gegenfrage an dieser Stelle lautet:
Warum willst ausgerechnet Du New Work?
Eine recht provokante Frage, ich weiß. Aber aus dem eigenen ungelösten Schmerz (wie bspw Hilflosigkeit, Frustration, Sinnlosigkeit) heraus zu handeln, führt nie dazu, dass andere sich sicher und veränderungsbereit fühlen. Es zieht lediglich diejenigen an, die den eigenen Schmerz teilen.
Was uns zur nächsten Dynamik bringt:
Schatten-Dynamiken und New Work: Die Versuchung der Macht
Wo New Work aus Schmerz / Frustration / Hilflosigkeit / Unzufriedenheit etc. entsteht, finden sich schnell andere in der eigenen Organisation oder in externen Communities, die diesen Schmerz teilen. Vereint in der Idee, dass New Work die eigenen Unzufriedenheit lösen kann, muss die Ursache dieses Schmerzes natürlich im Umkehrschluss in der alten Arbeit, der alten Kultur liegen.
Und plötzlich kommen zwei Dinge zusammen, die in Organisationen wie auch Gesellschaften eine starke aber nicht unbedingt wünschenswerte Verbindung miteinander eingehen: Eine Gruppe, die sich für moralisch überlegen hält und daraus soziale Macht generiert.
Für eine Organisation bedeutet diese Dynamik schnell das Ende jeder Veränderungsfähigkeit. Denn die Identität und Macht dieser Gruppe speist sich aus Abgrenzung: Old vs New Work. D.h. in der Konsequenz, wenn die Veränderung der Organisation erfolgreich wäre, würde diese Quelle und damit die Legitimation und der Zusammenhalt der Gruppe verschwinden.
Gewollt, könnte man sagen. Ein Selbstzerstörungsmechanismus quasi. Aber leider sind weder Menschen noch Organisationen gut darin das wertvolle Gefühl, das aus der Verbindung von Wirksamkeit und Zugehörigkeit entsteht, wieder los zu lassen.
Im besten Fall wird das Ziel, das man sich steckt, einfach immer größer: vom selbstorganisierten Team geht man zur völlig neuen Unternehmenskultur und streitet schließlich für die gesamt-gesellschaftliche Veränderung.
Auf den ersten Blick ist an dieser Dynamik nichts auszusetzen. Es gibt schließlich ausreichend Verbesserungspotential in dieser Welt. Doch wie schnell aus gesellschaftlich wünschenswertem dysfunktionales Verhalten werden kann, wenn es aus einer unbewussten und unbearbeiteten Quelle wie der oben beschriebenen gespeist wird, sieht man in vielen Change Prozessen im Zuge der Digitalisierung:
In vielen Agil-Projekten muss dann auf einmal auch noch die Buchhaltung in einem agilen System betrieben werden, das im Ursprung für die Entwicklung von Software gedacht war. Ob Agilität in vielen Bereichen Sinn macht, ob Agilität nicht erst der übernächste Schritt in einer Reihe nötiger Veränderungen wäre und wie das Konzept für diese Bereiche adaptiert werden muss, danach fragt häufig … niemand.
Im schlechtesten und leider häufigeren Fall „frisst die Revolution” jedoch sprichwörtlich “ihre Kinder“ und Frustration und Schuldzuweisungen treten an die Stelle von Enthusiasmus, Kreativität und besten Vorsätzen.
Frustration
Und so scheint sich der Kreis zur eingangs genannten “Change Fatigue” zu schließen. Isabel, unsere New Work Beraterin aus Süddeutschland, ist dieser Dynamik offenbar erlegen und die Neue Arbeitswelt, die dem eigenen Schaffen wieder Sinn geben sollte, hat diesen verloren. Doch so einfach ist es dann eben doch nicht. Oder anders: Wer New Work so leicht abschreibt, verschenkt die Chance auf die ein odere andere interessante Einsicht.
Unzählige Menschen haben in den letzten Jahren aufgrund von Frustration ihre Corporate-Karriere an den Nagel gehängt, sich selbständig gemacht und New Work zugewandt. Frustration war es also, die in erster Instanz die Kraft für Veränderung freigesetzt hat und als solches durchaus produktiv war. Doch natürlich nur, wenn man sie zu nutzen weiß. Wer zu oft gegen die selben Wände jedoch in unterschiedlichen Häusern gelaufen ist, der verliert irgendwann den Mut oder wird zynisch.
Frustration sagt nämlich genauso viel, wenn nicht mehr, über die Person aus, die da frustriert ist, wie über die Situation, in der sie entsteht. Denn Frustration und Verzweiflung sind starke Gefühle und – Du ahnst es vielleicht schon – ebenfalls Wächter-Dynamiken, die eine Einladung aussprechen mit sich selbst in den Dialog zu gehen.
Wenn wir also in unseren Organisationen an einen Punkt kommen, an dem sich Widerstand an Widerstand reibt und der Schatten der Organisation unseren eigenen befeuert, dann kann ich mich an dieser Dynamik abarbeiten und viel Energie verbrennen. Das Resultat sind die oben genannten Prozesse. Oder ich kann die Perspektive wechseln und die eigene Frustration als Botschaft verstehen, die mir zeigt, dass in mir selbst noch etwas ungeklärt ist.
Wenn Du damit direkt beginnen möchtest, stell Dir einfach mal folgende Fragen:
- Warum beschäftige ich mich wirklich mit New Work?
- Könnte ich zufrieden sein, wenn sich nichts ändert? Warum (nicht)?
- Was stabilisiert dieser Widerstand gegen die “alte Arbeit”, den ich kultiviere?
- Und in welcher Rolle hält er mich fest?
- Wo schmerzt es in mir eigentlich?
Wer sich mit diesem Blickwinkel auf die Reise macht und lernt dem eigenen Bedürfnis und der eigenen Spannung Raum zu geben und diese auszuhalten, der wird feststellen, dass sich sein Blick auf den Wandel der Organisation ebenfalls verändert.
Denn wer gelernt hat, mit seinen eigenen Schatten etwas gnädiger zu sein und ihre Sprache spricht, für den verliert New Work an falsch verstandener Dringlichkeit und wird vom Appell zum Angebot bzw zum Dialog zwischen dem Alten und dem Neuen.
Ohne naiven Idealismus aber eben auch ohne “wir gegen die”.
Ohne Erfolgsgarantie aber eben auch ohne Sinnkrise.
Ohne Utopia aber eben mit Respekt und Verständnis für all die Persönlichkeiten, all die Schatten und all die Bedürfnisse, die unsere Organisationen zu dem machen, was sie sind.
…..
Tina Egolf arbeitet als Executive Coach und Consultant mit Privatpersonen, Führungskräften und Organisationen und hat sich dabei auf die Themen unbewusste Dynamiken und Blind Spots spezialisiert. Sie ist darüber hinaus Teil des erweiterten Innerwork.Online Experten-Teams und begleitet uns beruflich und privat sei einigen Jahren. Wer mehr über Tina erfahren möchte, schaut am besten auf Ihrer Website vorbei oder kontaktiert sie via LinkedIn.
Photo by Ross Findon on Unsplash
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