In unserer innerwork.online Gruppe, bestehend aus Bettina, Anjet, Jana und mir, Joana, haben wir zu Beginn des Jahres beschlossen uns tiefer auf die gesellschaftspolitische Grunddynamik einzulassen um gezielt herauszuarbeiten, welche Ansätze und Antworten jetzt sinnvoll sind. Denn so vieles ist gerade in Bewegung, dass ein „weiter so“ unpassend erscheint. Dabei beziehen wir uns auf Themen wie die Kriege in der Ukraine, Israel und Palästina, auf die Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz, die Stagnation in Bezug auf die Klimakatastrophe und die massive Unzufriedenheit, die in Europa und den USA rechten Parteien und Politikern viel Zulauf beschert und eine Politik der Empörung und Polarisierung antreibt. Zu diesen brennenden Themen gehört aber auch die Frage nach der Zukunft von Arbeit und Führung. Denn viele Erwerbstätige sind am Limit angekommen, oder schon weit darüber hinaus.
Ich kann nur das verändern, worauf ich mich wirklich beziehen kann
Unser Ausgangspunkt ist, dass wir nur dann adäquate Angebote und Antworten auf die Krisen der Gegenwart finden können, wenn wir uns möglichst gut auf sie beziehen können. Wenn wir die aktuelle Realität in ihren Schattierungen, Bewegungen, Dynamiken, verstehen und abgestimmt auf diese Standorterfahrung nächste Schritte einleiten. Ebenso können wir die Menschen, die wir beeinflussen oder unterstützen wollen – egal ob als Aktivisten, Therapeutinnen, Politikerinnen oder Kunden – nur dann erreichen, wenn wir sie auf ihrer Wellenlänge treffen.
Doch oft sind wir persönlich nicht im Einklang mit dem was wir in der Welt vorfinden. Wir beschweren uns über „opportunistische Politiker“, „gierige CEOs“, „konservative Bauern“, “faschistische Bürger” oder verzweifeln an einer „schwierigen Klientin“, dem „sturen Partner“ und “den unkonzentrierten Schülern”.
Aber was geschieht genau an der Stelle, an der wir uns mit etwas in der Welt reiben? Was verhindert es in mir, das ich mich ganz auf die Realität beziehen kann?
Genau das wollen wir als erstes Thema erforschen; jeder in seiner eigenen (Arbeits)Umgebung, aber auch gemeinsam als Vierergruppe.
Wie nehme ich die Kluft zwischen mir und „der schwierigen Realität da draußen“ wahr?
Wovor schrecke ich zurück? Worauf kann ich mich nicht einlassen? Was muss ich vermeiden?
Psychodynamisch ist es sinnvoll den Abwehrmechanismus in mir zu identifizieren und tiefer zu erforschen. Denn in meiner Lebensgeschichte gibt es gute Gründe, wieso ich mich vor bestimmten Teilen der Realität schützen musste. Abwehrmechanismen sind oft wichtige Überlebensstrategien. Doch als Erwachsene stehen sie mir im Wege, halten mich auf Distanz und verhindern damit eine Resonanzbeziehung zwischen mir und anderen Menschen, bzw. Facetten der Wirklichkeit.
Um das Thema etwas konkreter zu machen, hier ein persönliches Beispiel. Mir fällt es schwer mich mit Blockaden zu beschäftigen. Daher vermeide ich Arbeitsbereiche, die in meiner Wahrnehmung stagnieren und beschäftige mich stattdessen mit Innovation. Ich möchte immer einen Fuss in der Zukunft haben und suche mir deshalb Themen, die weit „vorne“ und damit möglichst wenig im Status Quo verankert sind. Ich mag dass, was sich offen und flüssig und voller Potential anfühlt. Dazu gehörte in den 1990ern das Thema Globalisierung, zu dem ich einige Bücher schrieb, ebenso wie die Beschäftigung mit Digitalisierung seit den frühen 2000ern oder neue Formen der Arbeit und Führung seit 2014.
Soweit so gut. Aber mit dem Fokus auf der Zukunft vermeide ich auch die Gegenwart und dass, was sich nicht verändern will und sich festgefahren anfühlt. In Gruppen, die ich als „stuck“ und konservativ empfinde, merke ich, wie ich auf Distanz gehe, indem ich sie vermeide oder herablassend auf sie schaue.
Wenn ich mich tiefer auf Stagnation einlasse, spüre ich innerlich schnell eine Enge. Ich werde traurig und zittrig. Die Wurzeln dieser Empfindungen kann ich in meiner Kindheit verorten, wo ich von depressiven Menschen umgeben war. Depression und Stillstand machten mir bis heute auf einer existentiellen Ebene Angst und ich fliehe davor in die konstante Bewegung. Als Innovatorin gestalte ich Zukunft, aber mein Überlebensmechanismus (Stagnation zu vermeiden) verhindert zugleich, dass ich mich umfassender auf die gesellschaftliche Realität einlasse, in der sehr viele Menschen (mich teilweise eingeschlossen) Angst vor Veränderung und Kontrollverlust haben und deshalb (un)bewusst den Status Quo fortschreiben. Meine eigenen Veränderungsimpulse sind dadurch nicht so wirksam, wie sie sein könnten, wenn ich mit Menschen dort eine Resonanzbeziehung aufbauen könnte, wo sie sind. Und natürlich hat dieses Muster auch zur Folge, dass ich bestimmte Aspekte und Themen von mir selbst ausblende und diese immer wieder in meinem Leben auftauchen, ohne sich zu erlösen. Das, was ich ausgrenzen muss, ist fixiert und kann sich nicht verändern.
Der moderne Mystiker Thomas Hübl spricht davon, dass wir die Dinge, vor denen wir zurückschrecken, nicht hinter uns lassen können, indem wir sie ignorieren, verdammen oder bekämpfen. Das, von dem wir weg wollen, beispielsweise Armut, Einsamkeit, Gewalt oder Schwermut, hält uns wie ein Gummiband gefangen. Erst wenn wir uns der Vergangenheit, dem Abgespaltenen und Vermiedenen zuwenden, können wir es transformieren.
Wenn wir etwas vormals Ausgeschlossenes in uns selbst integrieren, werden wir zu einer psychoaktiven Substanz und können die neu integrierte Qualität in alle Bereiche unseres Lebens einweben und so auf eine ganz neue Art wirksam werden.
Fragen zur Selbsterforschung
Diesen Prozess wollen wir uns im nächsten Monat genauer anschauen.
Wenn Du Lust hast parallel zu uns zu forschen, kannst Du Dir diese Fragen stellen:
1. Wovon möchte ich weg?
Welche Aspekte meines Lebens/ der Welt vermeide ich?
Was finde ich „schwierig“?
Was ist für mich stark negativ emotional aufgeladen?
2. Was liegt hinter dem Abwehrmechanismus?
Wieso war diese Vermeidung in der Vergangenheit gut und sinnvoll?
Macht sie jetzt noch Sinn, oder steht sie einer tieferen Verbindung mit der Welt im Weg?
Wenn Du Dich diesen Fragen widmest, schaue sie liebevoll und ohne Druck an. Vielleicht magst Du Deine Antworten und Assoziationen aufschreiben. Oder Du beleuchtest sie im Dialog mit einem Freund oder Freundin?
Unser Anspruch ist nicht, die Kluft zwischen uns und der Welt zu schließen. Vielmehr möchten wir uns mehr auf sie einlassen. Dem, was wir ausgrenzen, mehr Aufmerksamkeit schenken, es mit dem Licht unserer Wahrnehmung voller in uns auftauchen zu lassen.
Stay Tuned! Wir werden hier über unsere Erfahrungen weiter berichten und freuen uns auch, wenn Du uns dazu schreibst.