Unser Sein transformiert die Welt – Eine Reflexion zum Frauentag

Illustration generiert mit Midjourney

Heute ist Weltfrauentag und damit ein Anlass für Bettina und mich über die Rolle von Frauen und weiblichen Prinzipien nachzudenken. Letztes Jahre beschäftigen wir uns damit, wie Inner Work in vielen Veränderungsprozessen, analog zu anderen Formen der Care-Arbeit,  maßgeblich von Frauen vorangetrieben wird und damit deren Arbeitslast nochmals vergrößert. 

Als wir uns dieses Jahr gemeinsam auf das Thema einstimmten – ich vom Flughafen in Nizza aus, Bettina zuhause, mit ihrer 6-Monate alten Tochter im Arm – wurde deutlich, dass wir einen Schritt weitergehen müssen, als die einseitige Aufgabenverteilung innerhalb unserer Gesellschaft zu betrachten. Denn es wird immer offensichtlicher, dass weibliche Prinzipien nicht nur innerhalb unserer bestehenden Systeme – in Projekten, Unternehmen, Familien, politischen Institutionen etc.  –  einen anderen Stellenwert vis a vis männlich besetzten Qualitäten erhalten müssen. Nein, wenn wir unsere krisendurchschüttelte Welt wirklich updaten wollen, müssen wir uns der Beziehung zwischen dem Systemrahmen und seinen Inhalten viel radikaler stellen.


Polykrise versus Metakrise

In den letzten Monaten habe ich mich viel mit der Theoriebildung rund um „Krisen“ beschäftigt. In den Medien ist ständig von „Polykrisen“ die Rede. Davon, wie verschiedenste Systeme einen Komplexitätsgrad erreicht haben, der innerhalb des jeweiligen Themenfelds (Klima, Demokratie, Artensterben, Technologie etc.) nicht mehr kontrollierbar ist und dass zugleich die verschiedensten Krisenfelder sich auf nicht vorhersehbare Weise wechselseitig beeinflussen und sich damit nochmals potenziert der Steuerung entziehen. Im Gegensatz zu den Polykrislern sprechen andere von EINER Metakrise, die allen einzelnen Krisen zugrunde liegt. Sie sehen Wissenschaftler und Philosophen wie Iain McGilchrist, Jonathan Rowson oder Daniel Schmachtenberger, die Wurzel der Krise in dem Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Wahrnehmungsarten auf die Welt. Ohne hier auf ihre verschiedenen Theorien einzugehen (die Arbeiten von Iain McGilchrist habe ich ausführlich in einer vierteiligen Serie (1. Teil hier) beschrieben), liegt die Wurzel der Metakrise für sie im Verständnis von der Welt als Maschine, die sich seit der frühen Neuzeit und verstärkt seit dem Anfang der wissenschaftlichen Revolution, verbreitete und statt einem göttlichen Urgrund, den Mensch als Krönung der Schöpfung ansieht, der diese kontrollieren und ausbeuten kann.

Die kapitalistische Wirtschaftsweise fußt genau auf diesem Verständnis: Menschen sind von der Natur getrennt und können sie für ihre eigenen kurzfristigen Ziele instrumentalisieren. Im transnationalen Kapitalismus hat Leben keinen intrinsischen Wert, d.h. Leben ist aus sich selbst heraus heilig und wertvoll, sondern „Wert“ entsteht nur zwischen Menschen auf Basis des Marktes von Angebot und Nachfrage. Damit verlieren genau die Dinge, die das Leben eigentlich sinn- und wertvoll machen, wie Sein, Liebe und Fürsorge, an Wert, da sie nicht über den Markt gehandelt werden können. 

Innerhalb dieses Systems erhalten Dinge nur dann eine Bedeutung, wenn sie kommerzialisiert werden können. Das der „Kapitalismus seine Kinder frisst“, werden immer mehr vormals dem Privaten zugeschriebene Tätigkeiten und Qualitäten in handelbare Waren transformiert und „professionalisiert“ – angefangen mit der Pflegearbeit, über das professionelle Ausrichten von Kindergeburtstagen und Beziehungsanbahnung, bis hin zur McMindfulness Bewegung. (s. dazu das spannende Buch der Soziologin Arlie Hochschild The Outsourced Self (2012)

Weibliche Führung überwindet die Grundannahmen des Kapitalismus

Wenn wir am Weltfrauentag über weibliche Führung nachdenken, dann müssen wir konstatieren, dass wir uns im Kreise drehenWenn wir (als Frauen, als Männer und als nicht-binäre Menschen) mehr weibliche Elemente in unsere Arbeitswelt einbauen wollen, laufen wir Gefahr das bestehende System einfach nur leicht optimiert zu verlängern . Es mag uns vielleicht gelingen, die transaktionale, auf Wachstum, Effizienz und Leistung ausgerichtete Unternehmenskultur ein bisschen menschlicher zu machen, indem wir einige Härten abpuffern und für ein liebenswerteres Betriebsklima sorgen. Doch eigentlich schicken wir die gleichen ausgelaugten Pferde nur noch in eine weitere Runde entlang der gleichen Trabrennbahn, ohne dass sich substantiell etwas verändert. 

Für eine wirkliche Transformation werden wir achtsam und radikal die Grundannahmen des Kapitalismus (und anderer damit einhergehender Rahmen und Paradigmen) verändern müssen. Diese Transformation beginnt in uns und strahlt von dort auf unsere Beziehungen und äußeren Strukturen und Prozesse aus. Sie beginnt damit, dass wir für uns und in kleinen Kreisen erforschen, was weibliche Führung wirklich ausmacht. 

Bei unseren eigenen Erkundigungen wurde deutlich, dass weibliche Qualitäten mehr mit Sein zu tun haben als mit Machen. Dass es nicht um die gerichtete Bewegung geht –  nach vorne, in die Zukunft – sondern um das Ruhen in und Seien mit dem, was ist. Erst wenn wir auf einer tieferen Ebene verstehen, dass Leben an sich sinnhaft, wertvoll und schützenswert ist, werden wir aus dem Hamsterrad heraustreten können und neu entscheiden können, wieviel und welche Bewegung, Entwicklung, Innovation es gerade braucht. Wo trägt unsere Tätigkeit wirklich zu einer Verbesserung von Lebensqualität bei? Wo ist ein Turbo und ein Fortschritt angemessen, weil er tiefere menschliche und planetarische Bedürfnisse bedient? Wie will sich Leben entfalten? Dann werden wir auch nicht mehr abstrakt den technologischen Möglichkeiten hinterherlaufen, sondern uns bewusst dazu entscheiden, welche Technologien wir wie einsetzen wollen. 

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gigantischen Investitionen in Bereichen wie Künstliche Intelligenz und Biotechnologie, klingt diese Programmatik naiv und regelrecht absurd. Und dennoch können diejenigen von uns, die privilegiert genug sind, sich zwischen Alternativen zu entscheiden, unsere Lebensenergie in den Dienst eines neuen Paradigmas stellen, das dem Leben dient, statt es zu zerstören.

Wir werden in den nächsten Wochen mehr über den Paradigmenwechsel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik schreiben. 

Vorerst wünschen wir euch allen einen guten Weltfrauentag: Begegnet euch auf einem Spaziergang, bezieht euch aufeinander in eurer unreduzierbaren Vielfalt, in der Freude und Verzweiflung, im Nicht-Wissen und in der Ehrfurcht vor allem, was ist. 

Stay Tuned!

 

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