Wenn Unternehmen anfangen feste Strukturen (partiell oder radikal) aufzulösen und agilere Methoden einführen, verändern sich zentrale Managementfunktionen wie Strategieentwicklung, Personaleinstellungen oder Qualitätssicherung. Statt der Unternehmensführung sind nun wesentlich breitere Mitarbeiterkreise oder sogar das ganze Team dafür verantwortlich, dass alle Mitarbeiter wissen wofür, woran und wie sie arbeiten. In einer Reihe von Artikeln wollen wir diese einzelnen Funktionen genauer unter die Lupe nehmen und beschreiben wie sie sich auf dem Weg zur Selbstorganisation verändern.
Den Anfang machen wir mit Qualitätsmanagement.
Je nach Organisationsstruktur kann Qualität nicht nur sehr unterschiedlich gemanagt und kontrolliert werden, sondern auch höchst unterschiedliche Aspekte beinhalten. Wenn wir uns an dem Entwicklungsmodell von Spiral Dynamics orientieren, dann kann man annehmen, dass …
- „blaue“ bürokratische Institutionen insbesondere darauf bedacht sind, „Sachen richtig zu machen“. Dies beinhaltet hauptsächlich, dass Standardabläufe mit Hilfe von festen Regeln, Vorschriften und Protokollen kontrolliert werden.
- „orangene“ funktionale Hierarchien dagegen versuchen die Eigeninitiative von Mitarbeitern zu steigern um zum einen bestehende Prozesse kontinuierlich zu optimieren, zum anderen aber auch neue Prozesse zu entwickeln. Qualität wird hier oft über Indikatoren, KPIs, OKRs, Balance Scorecards u.ä. gemanagt.
- Der Qualitätsbegriff „grüner“, auf Gemeinschaft und gesellschaftliche Verantwortung fokussierter Unternehmen, bezieht sich oft weniger auf die Kontrolle des Produkts im engeren Sinn, sondern umfasst darüber hinaus auch die Beziehungsqualität im Team und mit weiteren Stakeholdern wie Zulieferern und Kunden.
Auf der nächsten Ebene, die uns in Hinblick auf Selbstorganisation insbesondere interessiert und die von Laloux als „teal“ (türkis), in Spiral Dynamics als „gelb“ kodiert ist, erweitert sich der Qualitätsbegriff nochmals. Diese Unternehmen verfolgen eine systemische Perspektive, der auch die (nicht intendierten) Folgen ihrer Tätigkeiten aktiv mitdenkt (wie wird unser Produkt genutzt? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Umwelt und Gesellschaft). Eine Produkt oder eine Dienstleistung wird dann als qualitätsvoll abgesehen, wenn sie der größeren Mission und Vision der Organisation entspricht. Wenn sie hilft, deren Sinn zu verwirklichen.
Neue Kompetenzen sind notwendig um Qualität dezentral zu managen
Unternehmen mit flexiblen Organisationsstrukturen gehen nicht mehr davon aus, dass Qualität in einer extra dafür zuständigen Abteilung oder von nur wenigen Einzelnen gemanagt und kontrolliert wird. Stattdessen fühlt sich das ganze Team dafür verantwortlich, dass Arbeit und Produkte den gemeinsam bestimmten Qualitätsanforderungen gerecht werden. Damit dies erfolgreich geschehen kann brauchen Mitarbeiter eine ganze Reihe von neuen Kompetenzen, ansonsten kann es passieren, dass niemand sich so richtig verantwortlich fühlt oder genau weiss, welche Qualitätsstandards gelten. In der Folge würde sich die Qualität unweigerlich verschlechtern.
Hier sind einige der notwendigen inneren Fähigkeiten:
Individuelle Kompetenzen
Mitarbeiter müssen sich selbst reflektieren können, indem sie sich z.B. fragen: Worauf muss ich persönlich achten, damit ich qualitätsvolle Arbeit leiste? Welche Standards muss und möchte ich befolgen? Welche Informationen benötige ich? Was für ein Umfeld brauche ich, um selbst-motiviert und innovativ meine Arbeit auszuführen? Wie sehr bin ich mit der Mission der Unternehmung verbunden, um mich in ihren Dienst zu stellen?
Beziehungskompetenzen
Um Arbeitsprozesse und Ergebnisse auf einem hohen Niveau zu halten, brauchen selbstorganisierte Teams eine Reihe von kommunikativen Fähigkeiten. Sie müssen in der Lage sein eigene und fremde Fehler, sowie Spannungen und Probleme mit ihren Kollegen, Vorgesetzten oder Partnern zu besprechen. Sie müssen fähig sein klar und explizit ihre eigenen Ansprüche und Ideen zu teilen und sich im Team auf verbindliche Standards zu einigen. Es braucht einen offenen und ehrlichen Dialog dazu, welche Kompetenzen notwendig sind, um hohe Qualität zu liefern und Standards und Prozesse ggf. kontinuierlich durch Feedbackloops zu verbessern.
An diesem Punkt ist es auch interessant darüber zu reflektieren was Manager, die vormals Qualität kontrolliert haben, brauchen, damit sie sich auf den neuen Ansatz einlassen und ihre eigenen Kontrollmechanismen verantwortungsvoll loslassen können?
Feldkompetenzen
Reicht es in festen hierarchischen Strukturen wenn jeder Mitarbeiter „seinen“ Teil der Arbeit im Blick hat, so müssen sie in selbstorganisierten Organisationen in der Lage sein, die Prozesse in ihrem Unternehmen als Ganze zu überschauen und Chancen und Schwachstellen einschätzen zu können. Sie müssen in der Lage sein zu verstehen, wieso ein bestimmtes Ergebnis unbefriedigend war. Sie dürfen sich von Komplexität nicht überwältigen lassen, sondern neben ihrem Verstand auch auf ihre Intuition vertrauen. Diese als Meta-Reflexion oder Meta-Cognition bekannte Kompetenz ist entscheidend dafür, ob Unternehmen zuverlässig in der Lage sind ihr Qualitätsmanagement im Team zu verteilen.
Qualitätsmanagement im betterplace lab
Klingt alles etwas abstrakt? Dann lasst uns ein konkretes Beispiel geben.
Im betterplace lab, dem Think und Do Tank, den Joana 2010 gegründet hat und der seit 2015 selbstorganisiert geführt wird, ist Qualität ein maßgeblicher Wert. Er bezieht sich weniger darauf, dass Mitarbeiter etwas „richtig machen“ oder Standardprozesse optimieren, sondern ist eng an die Mission und Vision der Unternehmung gekoppelt. Wir sind bemüht so sozial wirksam wie möglich zu sein, d.h. So zu forschen und unser Wissen zu vermitteln, dass es einen maximal positiven Effekt in der Gesellschaft hat. Dabei hat jedes Teammitglied seinen eigenen, individuellen Qualitätsanspruch, der sich teilweise auch von den Kollegen unterscheiden kann: während einer Kollegin die Originalität ihrer Forschungsarbeit besonders wichtig ist, geht es jemand anderem vielleicht eher darum möglichst breit rezipiert zu werden. Neben diesen Unterschiedlichkeiten herrscht jedoch ein breites geteiltes Verständnis davon, welchen Ansprüchen unsere Arbeit genügen soll.
Qualitätssicherung in Projekten
Verantwortlich für die erfolgreiche Durchführung von Projekten sind immer die Projektleiter*innen und Projektmitarbeiter*innen. Sie reflektieren nicht nur untereinander offen und transparent ihre Arbeit, sondern ziehen dazu auch andere Kollegen hinzu, die besondere, für den Projekterfolg erforderliche Kompetenzen haben, die nicht im Projektteam selbst vorhanden sind. Dieser „Beratungsprozess“ ist vollständig kompetenzbasiert und ist von zentraler Bedeutung für die Qualität der Projekte.
Damit Teammitglieder in der Lage sind auch kritische und konfliktträchtige Kommentare und Feedbacks zu Projekten zu geben, mußten wir lernen offen und transparent miteinander zu kommunizieren, z.B. Nach den Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation. Teams, die das nicht können, werden sich nicht trauen ihre Kollegen auf Fehler anzusprechen, oder tun dies in einer Weise, die die Beziehung und damit das Vertrauen untereinander verletzt. Im Laufe der Jahre haben wir den Spielraum dessen, was wir uns gegenseitig sagen können, stetig erweitert und damit viel Klarheit und Präzision gewonnen. Dies hat sich extrem positiv auf die Qualität der Arbeit ausgewirkt.
Zur Qualitätssicherung gehört auch, dass das Team seine Ansprüche und Maßstäbe kontinuierlich reflektiert. Innerhalb des Teams definieren wir, welche Ansprüche wir an welche Kompetenzen haben. Dazu gehören solche Kompetenzen wie Teamführung, Projektkonzeption, Projektmanagement, New Work-Kompetenzen etc. Innerhalb jedes Bereichs gibt es verschiedene Abstufungen und wir erwarten nicht, dass jeder alles gleich gut kann. In den umfangreichen Feedbackgesprächen, die wir alle reihum einmal im Jahr miteinander führen, dienen diese Maßstäbe als Orientierung. Zugleich eignen sie sich auch gut dafür, in welchen Bereichen sich einzelne Mitarbeiter weiterentwickeln wollen.
Das Team hat darüber hinaus einige formale Ansprüche im Projektmanagement etabliert. So werden bei Projektstart mit dem Kunden/Projektpartner Ziele definiert und verschriftlicht. Diese werden, ebenso wie vordefinierte Meilensteine im wöchentlichen Teammeeting präsentiert. Am Projektende gibt es ein obligatorisches Debriefing, bei dem Erwartungen und Ziele mit dem Resultat verglichen werden. Learnings, auch kritische und „schwierige“ werden breit geteilt, um den Wissensaufbau im Team zu fördern.
Weitere formale Prozesse zur Qualitätskontrolle sind ein 4-Augen-Prinzip beim Unterschreiben von Verträgen und Rechnungen, oder die obligatorische Einbindung der Finanzüberblickerin bei der Angebotserstellung oder der Teamüberblickerin beim Onboarding neuer Mitarbeiter.
Kontrolle und Weiterentwicklung von Organisationsprozessen
Neben der Qualitätskontrolle in einzelnen Projekten kümmert sich das Team auch um die Qualität und Weiterentwicklung der Organisationsprozesse, z.B. Im Bereich Recruiting und Onboarding, Projekt – und Kapazitätsplanung, Stratgieentwicklung oder Gehaltsverhandlungen. Für diese Prozesse sind jeweils die verschiedenen Kreise (aus Holocracy entlehnt) verantwortlich, So haben wir Kreise für Finanzen, Team, Strategie, Öffentlichkeitsüberblick und IT. In den Kreisen sitzen die jeweils dafür kompetentesten Mitarbeiter und in vielen Fragen (zur Optimierung, Anpassung oder Neuentwicklung von Prozessen) sind sie deshalb auch weitgehend befugt Entscheidungen für die Gesamtunternehmung zu fällen. Darüber hinausgehende Entscheidungen, die die Zustimmung des Teams bedürfen, werden je nach Ausmaß per Konsens, Consent oder Zweidrittelmehrheit getroffen.
Wie gehen wir mit Fehlern um?
Das Team geht davon aus, das jeder Fehler macht und das wir uns nur bemühen können, sie möglichst früh zu identifizieren und zu korrigieren, sowie sie so offen zu teilen, das alle daraus lernen können. Wir benutzen im Team ein Lernmodell, welches davon ausgeht, dass Mitarbeiter jeweils in der Komfortzone, der Inspirationszone und der Terrorzone sein können. Wir haben ein geteiltes Verständnis dafür, dass nur die Person, die sich aus der sicheren Komfortzone hinauswagt, Neues entwickeln und innovativ sein kann.
Dies Konzept hilft dabei Fehler nicht zu stigmatisieren, sondern sie konstruktiv zu bearbeiten. Im wöchentlichen Team-Meeting gibt es zudem einen eigenen Agendapunkt, der dazu dient seine Schwierigkeiten bezüglich eines Projekts oder eines Partners im Team zu teilen.
Da die Teamkultur sehr wertschätzend und vertrauensvoll ist, können die meisten Fehler leicht angesprochen und gemeinsam gelöst werden. Im Beratungsprozess kann jeder Mitarbeiter sich mit seinen Problemen und Fehlern an kompetentere Kollegen wenden und mit ihnen gemeinsam eine Lösung suchen. Beim Projekt-Debriefing versuchen wir neben der Ursache von Problemen auch Wege zu finden, wie wir sie in Zukunft verbessern können. Viele unserer Prozesse zum Qualitätsmanagement, wie monatliche Reportings an die Finanzüberblickerin oder die enge Zusammenarbeit mit dem Teamkreis bei Personalthemen, sind aus ehemaligen Fehlern entstanden., Das sehen wir nicht als Mangel, sondern besondere Qualität unserer Zusammenarbeit an.
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In Organisationen mit agilen und fluiden Strukturen ist Qualitätsmanagement in der gesamten Unternehmung verteilt. Wie in einem Schwarm haben einzelne Mitarbeiter einen Überblick über die gesamten Unternehmensaktivitäten und weiß welche Standards gelten, was ihr eigener Beitrag zu diesen ist und wie Qualität sich weiterentwickeln kann. Manche Aspekte der Qualitätskontrolle sind formalisiert, andere beruhen auf dem latenten, verkörperten Wissen der Mitarbeiter. Letzteres ist jedoch nicht nur implizit, sondern kann von Teammitgliedern auch beschrieben und an neue Mitarbeiter weitergegeben werden.
Ebenso bedeutsam wie diese geteilte Verantwortung ist jedoch, dass sich der Qualitätsbegriff in Unternehmen wie dem betterplace lab verändert. Mitarbeiter streben nach Exzellenz, weil sie ihre eigenen Potentiale realisieren möchten und zugleich ein gemeinsames unternehmerisches Ziel verfolgen, welches die Gesellschaft positiv verändert. Qualität hat weniger damit zu tun, den Erwartungen anderer zu entsprechen, sich vor den Beschwerden von Kunden zu schützen oder einen Wettbewerbsvorteil zu ergattern, sondern mehr damit einen möglichst stimmigen und wirksamen Beitrag in der Welt zu leisten.
Joana Breidenbach, Franziska Kreische (betterplace lab)
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