Wenn Organisationen gut enden. Sunsetting als neue Kulturpraxis

Von Joana Breidenbach und Anna Häßlin

Viele Organisationen starten mit einer kraftvollen Vision – doch nur wenige denken bewusst an ihr Ende. In Zeiten multipler Krisen, knapper Ressourcen und wachsender Überlastung wird klar: Nicht jede Organisation muss ewig bestehen. Während Neugründungen gefeiert werden, bleibt das bewusste Aufhören ein Tabu. 

Wir – Anna Häßlin, Mitarbeiterin in der Crespo Foundation, und Joana Breidenbach, Sozialunternehmerin – fragen uns: Was brauchen Organisationen, um würdevoll, transparent und wirkungsvoll abzuschließen? Wie kann Loslassen zu einem Akt von Verantwortung, Reife und Großzügigkeit werden? Und warum verstehen wir das bewusste Beenden nicht als Scheitern, sondern als Zukunftskompetenz? 

Mit diesem Artikel laden wir zu einem neuen Blick aufs Aufhören ein und machen ein Thema sichtbar, das in der deutschsprachigen Zivilgesellschaft bislang kaum beachtet wird – obwohl es angesichts globaler Herausforderungen immer dringlicher wird. 

Hinweis in eigener Sache: Beim Schreiben dieses Artikels hatten wir keine bestimmte Organisation im Blick. Unsere Motivation, uns näher mit diesem Thema zu befassen, entstand aus zahlreichen Gesprächen in informellen Runden– mit Menschen sowohl auf der Seite des Geldgebens als auch auf der Seite der Geldempfangenden. 

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Warum Sunsetting?

Seit einigen Jahren treffen wir –Anna und Joana– uns regelmäßig zum informellen Austausch. Wir bringen die Perspektiven einer Stiftungsmitarbeiterin und einer Sozialunternehmerin zusammen und sprechen über Themen wie wirksame soziale Innovationen, neue Organisationsmodelle, den Stand der deutschen Förderlandschaft, Diversität und vieles mehr. 

Bei einem unserer letzten Zoom Calls fragten wir uns, inwiefern gemeinwohlorientierte Organisationen heute noch wirksam auf einen krisenhaften Status quo reagieren können, der von Regression, Verhärtung, Widerstand, Erschöpfung und Ratlosigkeit geprägt ist. Unser Eindruck: Viele kämpfen ums Überleben, während Mitarbeitende einen hohen persönlichen Preis in Form von Überforderung und Burnout zahlen. Gleichzeitig halten manche trotz der veränderten Realität am „Weiter so“ fest – oft schlicht, weil Zeit und Muße fehlen, die eigene Arbeit kritisch auf Wirksamkeit zu prüfen. 

Warum also hören so wenige Organisationen freiwillig auf, nehmen sich eine Auszeit und starten dann – falls motiviert – neu? 

In unserem Umfeld erleben wir eher das Gegenteil: Manche melden still und leise Insolvenz an, andere beenden ihre Arbeit abrupt, verlassen die Führungsebene und stellen damit langjährige Unterstützer:innen, Förderer, Partnermanchmal sogar das eigene Teamvor vollendete Tatsachen. Förderpartner haben in solchen Fällen kaum Gelegenheit, zu helfen oder Alternativen wie Fusionen, Führungswechsel oder die Übertragung erfolgreicher Projekte an andere Träger zu unterstützen. 

Diese Prozesse sind selten zufriedenstellend: Strukturell versickern Erkenntnisse und Erfolge; emotional erschüttern sie Vertrauen und lassen viele Gefühle ungeklärt. Andere Teams zerstreiten sich offen, etwa bei Fragen rund um Diversität und Teilhabe. Ein positives Gegenbeispiel ist Campaign Bootcamp, das seinen Prozess transparent machte. 

Umgekehrt fallen uns nur wenige gelungene „gute Enden“ ein. Joana hat einen solchen Sunsettingprozess erlebt, als sich das Ecosystem Network des WellbeingProjects nach acht Jahren in einem mehrmonatigen Verfahren auflöste. Wir haben immer wieder gesehen, wie befreiend es ist, wenn Organisationen Aufhören als Option denken: Statt ein Ende zu tabuisieren und den Elefanten im Raum nicht zu thematisieren, erweitert ein bewusster Umgang den Handlungsspielraum und schärft die Motivation. Je größer der innere (gesitige) und äußere (strukturelle) Raum, desto mehr Optionen stehen zur Auswahl – Growing Spaces. 

Aus dieser Diskussion entstand die Idee für diesen Artikel. Wir wollen zeigen, wie konstruktives Aufhören aussehen kann und wer bereits vorangeht. Unser Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Er bündelt erste Gedanken und Recherchen – mit Blick auf Organisationen und Fördernde – zu einem Thema, das im deutschsprachigen Raum noch wenig Sichtbarkeit hat. Umso mehr freuen wir uns, wenn ihr eure Erfahrungen und Beispiele mit uns teilt. Teil1 skizziert, warum Sunsetting in der heutigen Zivilgesellschaft sowohl relevant als auch herausfordernd ist. Teil2 präsentiert Erkenntnisse und Beispiele für „gute Enden“ und ordnet sie in einen größeren Paradigmenwechsel ein. Viele unserer Materialien stammen aus den USA und Großbritannien, wo das Thema schon seit einigen Jahren aktiv diskutiert wird. 

Unser historischer Moment – wieso das Thema Sunsetting jetzt so wichtig ist 

Die Welt dreht sich im Zeitraffer. Was gestern unvorstellbar schien– Brexit, Trump, ein Angriffskrieg in Europa– ist heute Realität. Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen unter Dauerstrom: globale Krisen, politische Polarisierung und ständige Umbrüche prasseln gleichzeitig auf sie ein. Von rechts wird ihr Einsatz für Zusammenhalt und Vielfalt misstrauisch beäugt oder offen attackiert. 

Seit der Pandemie liegt ein diffuses „Alles geht den Bach runter“-Gefühl in der Luft. Errungenschaften, die wir als Fortschritt feierten, wirken brüchig; identitätspolitische Erfolge haben keinen festen Anker gefunden. Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte– einst verlässliche Polarsterne– verlieren Rückhalt und werden teils offensiv untergraben. Selbst privilegierte Gruppen ziehen sich häufiger ins Private zurück. Überall beobachten wir mehr Fragmentierung, Polarisierung und Vereinzelung. 

Bestand über das Verfalldatum hinaus 

Auf diese gekippte Weltlage müsste der soziale Sektor mit einem Update seiner Perspektiven, Ansätze und Organisationsformen reagieren. Denn wenig spricht dafür, dass ein „Weiter so“ morgen mehr Wirkung zeigt als gestern. Dieses Update bräuchte eine Marktbereinigung, die Kräfte bündelt und Wirkung stärkt– doch sie bleibt aus. Stattdessen konkurrieren zahllose Initiativen um dieselben Fördermittel, Headlines und müden Ehrenamtlichen. Wer heute bestehen will, braucht mehr als ein gutes Herz: Mut, Strukturen neu zu denken, Allianzen zu schmieden und Liebgewonnenes loszulassen. Dazu gehört, die eigene Überforderung und die Grenzen der Wirksamkeit ehrlich anzuerkennen. Sicherheit schlägt jedoch häufig Veränderungsbereitschaft. 

Im For-Profit Bereich gehört Scheitern fast zum Geschäftsmodell. Unternehmen, die sich nicht behaupten, verschwinden– natürliche Marktbereinigung. Gleichzeitig sind ständiges Ausprobieren, radikale Agilität und permanentes Lernen feste Bestandteile des Unternehmertums. 

NGOs richten ihre Strategien dagegen häufig an verfügbaren Fördergeldern aus. Die Folge: Mission Drift– Selbsterhalt wird wichtiger als das ursprüngliche Anliegen. Andere sind so von ihrer eigenen Methodik überzeugt oder sind so im Überlebensmodus, dass sie sich nicht kritisch hinterfragen und kaum dynamisch auf neue Situationen einstellen. 

Weitere Faktoren halten Non-Profits länger am Leben als gewinnorientierte Unternehmen. Die kommerzielle Nachfrage belegt den Erfolg eines Produkts klar; „Wirkung“ im Gemeinwohlkontext ist dagegen schwer messbar, da die Bezahler meist nicht die Empfänger der Leistungen sind. Außerdem können in komplexen Systemen Maßnahmen verzögert oder unintendiert sowohl positiv als auch negativ wirken. Diese Unschärfe trägt dazu bei, dass Organisationen über ihre Blütezeit hinaus bestehen bleiben, selbst wenn sie nicht mehr effektiv oder relevant sind. 

Es fehlen Mechanismen, die weniger tragfähige Organisationen aussortieren. Social-Entrepreneurship-Ansätze wirken dagegen, doch klassische Leistungs- und Produktivitätskennzahlen greifen zu kurz. Gemeinnützige Arbeit ist ganzheitlich und in dichte Beziehungsgeflechte eingebettet– „einfach scheitern“ ist kaum möglich. 

Anders als in der Wirtschaft, wo Geldgebende und -nehmende meist anonym bleiben, spielen persönliche Bindungen im Fördersystem eine zentrale Rolle. Das erleichtert einen partnerschaftlichen Austausch, erschwert aber das Eingeständnis, dass eine Organisation ihren Zweck nicht mehr optimal erfüllt. Eine Beendigung ist für alle Beteiligten unangenehm und kann zum Gesichtsverlust auf mehreren Hierarchieebenen führen; Programmmanager:innen müssen sich etwa gegenüber Führungskräften und Stifter:innen rechtfertigen. Somit wirken viele sehr nachvollziehbare menschliche Komponenten darauf hin, Beziehungen über lange Zeit stabil zu halten. 

In einer Welt voller Unsicherheit reagiert der NGO-Sektor paradoxerweise mit Festhalten. Wer sich nach Geldtöpfen statt nach Auftrag ausrichtet, verwässert seine Relevanz. Wer unkritisch am eigenen Ansatz haftet, ohne ihn an die aktuelle Lage anzupassen, zementiert Probleme, statt sie zu lösen. Genau in dem Moment, in dem die Zivilgesellschaft am dringendsten gebraucht wird, verliert sie Schlagkraft. 

Ein Kulturwandel – Vom Festhalten zum Loslassen

In einer Welt, die Wachstum, Skalierung und Bestand feiert, setzt leise ein Kulturwandel ein: Immer mehr Organisationen entscheiden sich, nicht um jeden Preis weiterzumachen, sondern ihr Ende bewusst zu gestalten –manche nennen das „Sunsetting“. Aufhören gilt dabei nicht als Scheitern, sondern als natürlicher Teil des Lebenszyklus. 

Manche Organisationen müssen aus wirtschaftlichen oder personellen Gründen schließen, andere wählen den Schritt freiwillig, weil sie ihre Wirkung kritisch prüfen und Raum für Neues schaffen wollen. In beiden Fällen entstehen neue Strukturen und Praktiken, um würdevoll abzuschließen, Erfahrungen weiterzugeben und Stakeholder emotional mitzunehmen. 

Unsere Recherche zeigt: Die meisten Beispiele für bewusstes Sunsetting stammen aus dem englischsprachigen Raum. Prominent ist die Gates Foundation, die alle Mittel bis 2045 ausgeben und dann schließen will. Kleinere Organisationen wie WaterShed Cambodia, ArtPlace America, SITI Theatre Company  und Year Here (mehr zu letzteren weiter unten) haben sich in den letzten Jahren ebenfalls selbstbestimmt aufgelöst. 

Im kontinentaleuropäischen Raum finden wir erst wenige Vorreiter: 

  • FamtastischStiftung begleitete den Verein WirGartene.V. dabei, seine Arbeit inklusive Übergangsfinanzierung und OpenSourceDokumentation abzuschließen. 
  • Superrr gab eine Förderung zurück, weil das Projekt das Team überfordert hätte. 
  • Die Agentur und Genossenschaft Wigwam eG hat sich dazu entschieden, ihre Organisation zu aufzulösen. 

Allen gemeinsam ist eine reife Haltung: Sie klammern sich nicht an ihre Existenz, sondern nehmen Wirkung ernst genug, um auch ihre Grenzen anzuerkennen. In ihren Übergangsprozessen wird Erreichtes gefeiert, Wissen geteilt und ein würdiger Abschied ermöglicht. 

Dahinter steht ein verändertes Organisationsverständnis. Im industriellen Paradigma galten Unternehmen als gut gewartete Maschinen mit möglichst langem Lebenszyklus. Betrachten wir sie stattdessen als Organismen oder Gärten, gestehen wir ihnen einen eigenen Lebensrhythmus zu, der auch enden darf. FredericLaloux spricht in ReinventingOrganizations (2014) von einem „evolutionarypurpose“. Eine Organisation ist damit weniger eine von Menschen vollständig kontrollierte Institution als ein lebendiger Organismus mit eigener Dynamik, den Mitarbeitende beobachten und begleiten. Folgt sie ihrem natürlichen Zyklus von Entstehung, Wachstum und Reife, ist ihre Auflösung kein Fehler, sondern ein notwendiger Teil des Ganzen. 

Wandel verstehen und begleiten, statt kontrollieren 

In Zeiten multipler Krisen und radikaler Umbrüche ist es fast unmöglich, als Organisation dauerhaft „richtig“ zu liegen. Wirkungsannahmen, Ziele, Modellealles müsste ständig überprüft und angepasst werden, doch im Alltag fehlt dafür meist die Luft. 

So entsteht ein innerer Widerspruch: Du willst gesellschaftlichen Wandel gestalten, hast aber kaum Ressourcen, dich selbst laufend neu auszurichten. Es fehlt nicht am Willen, sondern am Rauman Zeit, Geld und oft auch Mut. Gefragt ist eine Haltung, die weniger auf Machbarkeit und mehr auf Resonanz setzt, Signale liest und im Dialog mit der Welt bleibt. Wer Organisation als Beziehung begreift, kann auch Abschied als Teil dieser Beziehung sehen. 

Bewusstes Beenden wird so zur neuen Transformationskompetenz. Es verlangt ein Selbstbild, das loslässt statt festhält, zuhört statt vorgibt, begleitet statt kontrolliert. 

Das Ende als schöpferischer Akt 

Unsere Kultur des Speicherns, Archivierens und ImmerweiterProduzierens lässt kaum Raum für wirklich Neues. Moderne Medien konservieren Ideen, Bilder, Texte und Konzepte nahezu grenzenlos; fast alles scheint schon einmal gedacht, formuliert oder irgendwo digital abgelegt. Jetzt generieren Künstliche Intelligenzen aus diesem gigantischen Archiv endlose Variationen. 

Ob daraus echte Emergenz entstehtradikal Neues, frische Lebensimpulsebleibt ungewiss. Umso wichtiger ist es, aktiv Platz zu schaffen. Bewusstes Beenden von Organisationen kann das System entlasten. Paradoxerweise ist es eine schöpferische Handlung: Nur wenn etwas geht, kann etwas anderes kommen. Nur wer loslässt, macht Zukunft möglich. 

Gleichzeitig sollten wir nicht unterschätzen: Das Ende einer Organisation ist immer auch ein psychologischer Prozess. Viele Menschen im sozialen Sektor identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit und dem zugrunde liegenden Weltbild. Abschied bedeutet oft, ein Stück Identität loszulassen. Darum braucht es Räume, in denen dieser Prozess bewusst gestaltet wirdmit allen Phasen: Leugnung, Wut, Verhandlung, Trauer und Akzeptanz. 

In westlichen Kulturen gilt Loslassen häufig als Schwäche; Scheitern ist mit Scham behaftet, Abschied wird verdrängt. Unsere Erfahrung zeigt jedoch: Wird das Ende bewusst gestaltetdurch Rituale, Reflexion und Anerkennungkann es zu einer Quelle von Würde und Kraft werden. Das Geleistete wird geehrt, statt stillschweigend begraben, und bleibt verbunden mit einem größeren Ganzen. 

Eine eindrucksvolle Metapher liefert die Natur. VanessaAndreotti beschreibt das Ende als Teil eines „metabolischen Prozesses“: Wie ein umgestürzter Baum, der den Waldboden nährt, kann auch eine aufgelöste Organisation Nährboden für neue Initiativen sein. Die Plattform TheWindDown spricht von „organisationalcomposting“ – Ende nicht als Abfall, sondern als Rohstoff. Zurück bleiben Erfahrungen, Netzwerke, Strukturen, Irrtümer und Lerneffektealles wertvolle Ressourcen, wenn sie bewusst weitergegeben werden. 

In einem sozialen Sektor, der oft von Konkurrenz um Mittel und Aufmerksamkeit geprägt ist, wirkt Großzügigkeit beinahe subversiv. Wer offen teilt, ermöglicht kollektives Lernen; wer Fehler dokumentiert, bewahrt andere davor, sie zu wiederholen; wer Wissen zugänglich macht, schafft Verbindung über das eigene Ende hinaus. 

Eine neue Infrastruktur für das gute Ende 

Spannend ist, dass inzwischen eigene Initiativen dasbewusste Beenden professionell begleiten: 

  • The Wind Down (USA) stellt NonProfits ein SelfAssessmentToolkit bereit, bietet persönliche Begleitung und betreibt ein „MuseumofClosedNonprofits“. 
  • The Decelerator (UK) unterstützt Teams bei den emotionalen, strategischen und organisatorischen Seiten des Sunsettings; neben Worksheets, Coaching und Roundtables gibt es eine Hotline für Gründer:innen und Führungskräfte, die ans Aufhören denken. 
  • Mit Stewarding Loss hat CassieRobinson Räume für kollektive Reflexion über Verlust, Übergänge und Verantwortung geschaffen und einen Abschiedsfonds pilotiert, der Organisationen die nötigen Mittel für den SunsetProzess bereitstellt.

Wenn bewusstes Beenden zur neuen Kompetenz wird, braucht es Ressourcen– Wissen, Rituale, Räume und Geld. Besonders sichtbar wird das bei den strukturellen Ungleichheiten im sozialen Sektor: Marginalisierte Gründer:innen haben oft weniger Puffer, Finanzierungszugang und institutionelle Absicherung. Gleichzeitig tragen sie häufig die Hauptlast des Aufräumens, während privilegierte Akteur:innen sich früh zurückziehen. Ein gerechter Umgang mit Enden muss diese Dynamiken einbeziehen und neue Solidaritätsformen entwickeln. 

Verantwortung teilen – Abschiede gestalten 

Ein gutes Ende betrifft nicht nur das operative Team, sondern die gesamte Organisationvom Beirat über Gesellschafter:innen und Aufsichtsrat bis zum externen Netzwerk. Auch Fördermittelgebende und Partnerorganisationen sollten den Prozess ideell, finanziell und strukturell mittragen. 

Ein gelungener Sunset beginnt mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme: Was bleibt, was geht? Er bindet alle Stakeholder in die Reflexion ein, würdigt Erfolge, lässt Emotionen zu, teilt Wissen und sorgt für eine saubere Abwicklung auf rechtlicher, personeller und finanzieller Ebene. Hilfreich sind Tools wie „Tending to Endings“, das „Museum of Closed Nonprofits“ oder andere ReflexionsKitsentscheidend bleibt jedoch eine Kultur, die all das ermöglicht. 

Wie das aussehen kann, zeigt der bewusste Abschluss einer Förderung von Famtastisch Stiftung und WirGartene.V.: Das WirGarten-Team beendete die Förderung auf eigenen Wunsch, um seinen Ansatz neu zu denken. Stiftung und Projekt gestalteten den Schritt gemeinsam auf Augenhöhe, stützten sich auf eine fundierte Ökosystem Analyse und finanzierten eine dreimonatige Übergangsphase. In dieser Zeit wurden Mitarbeitende abgesichert, Ergebnisse als Open Source veröffentlicht und alle Abschiedsprozesse transparent kommuniziert. Das Beispiel zeigt, wie ein respektvoller, lernorientierter Exit gelingtmit Zeit, Vertrauen und Verantwortung auf beiden Seiten. 

Und Du? 

Neue Weltbilder, Wirkungsannahmen, Organisationspraktiken und Gefühlswelten wachsen nicht über Nacht. Sie entstehen durch Jahre voller Experimente, Lernen, Austausch, Sackgassen und Fortschritte. Wir haben diesen Artikel geschrieben, weil uns das Thema brennend interessiert –und weil wir überzeugt sind, dass Beenden genauso wichtig ist wie Anfangen. Erste Gespräche mit Menschen aus dem sozialen Sektor zeigen: „Sunsetting“ trifft einen Nerv. Viele denken darüber nach, scheuen aber den offenen Austausch. Noch immer haftet dem Ende einer Organisation Scham an; es gilt als Versagen. Dabei gibt es längst einen reichen Schatz an Wissen und Beispielen, der zeigt, wie befriedigend und wertvoll ein bewusstes Ende sein kann. 

Jetzt bist du dran: Wie siehst du Sunsetting? Welche guten oder weniger guten Beispiele kennst du? Was bräuchtest du, um gelassen über das Ende deiner Organisationoder derer in deinem Umfeldnachzudenken? 

Schreib uns gern, auch direkt an Anna (anna.haesslin@crespo-foundation.de) oder Joana (hello@joanabreidenbach.de). 

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Wenndu tiefer einsteigen möchtest, findestdu hier ein hilfreiches Fallbeispiel aus den Arbeitsmaterialien des Decelerator: 

7 Lektionen für alle, die ein gutes Ende gestalten wollen 

Ende 2022 beendete die Organisation Year Here ihre Arbeit. Year Here war 10 Jahre zuvor gegründet worden und vergab Stipendien im Bereich Soziale Innovation. Interessanterweise widmete sich die Organisation in ihrem Auflösungsprozess sowohl der äußeren, strukturellen Seite des Prozesses als auch der inneren, emotionalen Seite. Sie begründen dies so:  

(…) Importantly, we have focused on how it feels. We found that there was some information and materials out there to support the process, but less on the feelings and emotions. When we talked and shared these feelings with others, we found they shared similar experiences and we felt affirmed. Hopefully others may benefit from how open we have been about the highs and lows of the journey.  

Die Organisation identifizierte 6 Phasen des Schließungsprozesses: 

1. 

Vorentscheidung 

2. 

Entscheidung 

3.  

Sich dem Ende verpflichten 

4.  

Das Ende planen 

5.  

Das Ende implementieren 

6.  

Jenseits des Endes – Neuanfänge 

aus dem Toolkit „Sensing an Ending“ 

Detaillierte Informationen zu allen diesen Phasen findet ihr hier. 

Als Fazit listen die Autoren 7 Punkte, die für ein gutes Sunsetting wichtig sind. 

  1. Geteilte Führung 
    Der gezielte Ausbau geteilter Führung verbessert Entscheidungen und stärkt das gemeinsame Erleben. Für uns hieß das: den Vorstand aktiv einbinden und auf Co-Leadership setzen. 

  2. Raum für Gefühle 
    Eine Schließung ist emotional fordernd. Angst, Schuld, Unsicherheit und Sorge gehören oft dazu – auch wenn Zuspruch kommt. Manche werden eure Entscheidung kritisieren. Entscheidet euch bewusst, wen ihr einbeziehen und wo ihr Grenzen ziehen wollt. Baut einen Vertrauensraum und unterstützt euch gegenseitig. 

  3. Doppelte Belastung 
    Stellt euch darauf ein, zwei sehr unterschiedliche Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen: ein Unternehmen am Leben zu erhalten, dass seine verbleibenden Verpflichtungen erfüllt und zugleich die Einstellung des Betriebs voranzutreiben. Geht sorgsam mit euren Ressourcen um, denn diese Phase ist eher Marathon als Sprint. 

  4. Nicht-linearer Prozess 
    Wenn ihr denkt, Sunsetting sei ein überschaubarer und linearer Prozess, werdet ihr wahrscheinlich überrascht werden. Denn Überraschungen, Sackgassen und blinde Flecken gehören zum täglichen und wöchentlichen Prozess der Schließung einer Organisation dazu. 

  5. Klare Prinzipien 
    Zwei bis drei gemeinsame Ziele oder Leitlinien schaffen Fokus und Richtung. Sie helfen, Entscheidungen schnell und gemeinsam zu treffen – und geben eurem Ende eine klare Vision. 

  6. Gute Kommunikation 
    Wer das Vertrauen von Partnern und Verbündeten behalten will, muss klar und respektvoll kommunizieren – zum richtigen Zeitpunkt, über die passenden Kanäle. Plane deine Kommunikation frühzeitig: Zielgruppen, Botschaften und Timing machen den Unterschied. 

  7. Eigenes Tempo 
    Enden müssen nicht hektisch und chaotisch sein. Wenn ihr euch aktiv für die Schließung entscheidet, bestimmt ihr das Tempo – und öffnet Raum für Reflexion, Lernen und Sorgfalt. Oft liegt gerade im bewussten Aufhören eine wertvolle Erfahrung. 

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