Nachdem der Bericht über Führungskompetenzen im Team reflektieren auf viel Resonanz gestoßen ist, möchte ich heute ein paar Übungen mit euch teilen, die helfen, subtile Kompetenzen im Team zu vertiefen.
Unter subtilen Kompetenzen verstehen wir die Fähigkeit, Informationen, Muster, Bewegungen in der Welt aufzugreifen, die noch nicht grobstofflich manifest, sondern erst latent vorhanden sind. Es handelt sich also um Dinge wie Ideen, Gedanken, Ahnungen, Inspirationen, Intuitionen etc., die wir als Menschen aufgreifen können, um sie dann durch unsere Arbeit in greifbare und sichtbare Objekten, Strukturen und Prozessen umzusetzen.
Letzte Woche habe ich auf dem Leadership Tag der Schöpflin Stiftung einen Workshop zum Thema “Aus der Zukunft führen” gegeben. Der Begriff stammt von Otto Scharmer und bezieht sich auf die These, dass eine wirklich relevante Zukunft keine Verlängerung der Vergangenheit ist, sondern aus der tief gefühlten Präsenz etwas Neues emergieren kann. In diesem Verständnis gestalten wir die Zukunft, indem wir uns mit latent in der Welt vorhandenen, schon subtil angelegten Bewegungen und Informationen verbinden. Innovation basiert also weniger auf rein individuellen Leistungen, sondern Menschen sind Hebammen, die latent in der Schöpfung angelegten, noch formlosen, Strukturen helfen, sich als konkrete Formen und Muster in der Welt zu manifestieren.
Ganzheitliche Selbstwahrnehmung
Um “aus der Zukunft zu führen” brauche ich zuerst einmal einen ausreichend guten Selbstkontakt. Wir verwenden hier den 4-Synch von Thomas Hübl, der Menschen hilft, sich auf vier Ebenen wahrzunehmen : auf der körperlichen, emotionalen, mentalen und inspirativen Ebene. In Teams oder Workshops üben wir den Selbstkontakt meist in Form einer geleiteten Meditation.
Eine Variante dieser Meditation ist es, TeilnehmerInnen paarweise sich gegenüber sitzen zu lassen. Person A schließt die Augen und wird von uns jeweils durch die vier Ebenen des Selbstkontakts geleitet. Wir laden sie ein der jeweiligen Qualität der Ebene nachzuspüren. Wie fühlt sich ihr physischer Körper an? Welche Körperteile sind leicht zugänglich, fließend und offen? Welche sind eher fern, blockiert, verkrampft? Danach wechseln wir auf die emotionale Ebene? Welche Gefühle können wir wahrnehmen? Scham, Angst, Wut, Freude? Oder fühlt sich die emotionale Ebene eher etwas taub und diffus an? Auch dies ist eine wichtige Information, die wir registrieren, ohne sie verändern zu wollen. Danach wandern wir mit der Aufmerksamkeit auf die mentale Ebene. Welche Qualität können wir im Bereich unserer Gedanken, der Sprache und Ideen wahrnehmen? Ist es hier ruhig und klar oder eher wirr? Zuletzt fokussieren wir uns auf einen Platz oberhalb unserer Kopfkrone und spüren in diesen inspirativen Raum hinein. Nehmen wir hier bestimmte Bewegungen, Qualitäten, Informationen wahr?
Während wir als Facilitaorinnen durch diese 4 Ebenen leiten, geben wir Person A immer die Gelegenheit aus der jeweiligen Ebene laut zu sprechen und seine/ihre Wahrnehmungen mit der gegenüberliegenden Person B zu teilen. Person A bleibt dabei ganz bei sich und behält auch die Augen (wenn gewünscht) geschlossen. Person B dient also als Resonnanzraum für die Selbsterforschung ihres/seines Gegenübers.
Ist der Durchgang beendet, wechseln wir die Rollen und leiten Person B durch den 4-Synch, während Person A aufmerksam zuhört.
Im Anschluss an diese Übung können die Paare ein paar Minuten gemeinsam ihre Erfahrung besprechen. Viele stellen fest, dass es für sie (zuerst) schwierig war sich auf jeweils eine Ebene zu fokussieren. Das sie sich dabei komisch vorkamen. Das sie keine klaren Informationen bekommen haben und immer wieder in Gedanken abgeschweift sind. Manche sagen, dass sich die vier Ebenen sehr unterschiedlich in ihren angefühlt haben: vielleicht file es ihnen z.B. leicht sich mit dem Körper zu verbinden aber die emotionale Ebene war schwer zu kontaktieren. Oder sie waren verwirrt, wie sie sich mit dem Raum über ihrem Kopf verbinden sollten. Für wieder andere ist diese Übung leicht und sie beschreiben z.B. dass sich die vier Ebenen sehr ähnlich und kohärent angefühlt hätten. Was auch immer die Teilnehmer herausfinden, wir betonen immer wieder, dass es nicht darum geht etwas „zu leisten“ oder etwas „zu produzieren“. Es geht wirklich „nur“ darum genau das was ist möglichst klar und ehrlich zu bezeugen.
Ein Blind Reading Experiment
Der verfeinerte, hochaufgelöste Selbstkontakt, der in dieser Übung geübt wird, ist die Basis vieler weiterer Übungen, mit denen wir unsere subtilen Kompetenzen schärfen. In dem hier beschriebenen Workshop erweiterte ich den Selbstkontakt um eine zusätzliche Ebene: nicht nur sich selbst, sondern einen anderen Menschen subtil wahrzunehmen.
Die Übung sieht so aus: Person A und B sitzen sich wie in der eben beschrieben Meditation gegenüber. Person A schließt jetzt die Augen und Person B steht auf und wechselt seinen Platz. Person A behält die Augen geschlossen und weiss jetzt nicht, wer ihm/ihr gegenüber sitzt.
Als Facilitatorin bitte ich Person A nochmals sich mit sich selbst gut zu verbinden, tiefer in den Selbstkontakt einzusinken. Von hier aus fordere ich Person A auf, die Wahrnehmung zur gegenüber sitzenden Person auszudehnen. Person A erweitert sein eigenes Energiefeld nach vorne und checkt, ob er/sie irgendwelche Impulse, Ideen, Bilder oder sonstige Informationen bekommt. Was nimmt Person A über Person B subtil wahr? Person A kann die in ihr/ihm aufsteigenden Gedanken, Bilder, Assoziationen laut aussprechen. Wenn nichts kommt, bleibt er/sie still. Auch hier geht es nicht darum etwas zu produzieren, sondern sich spielerisch auf die Möglichkeit einzulassen, auch mit geschlossenen Augen relevante Informationen von dem Gegenüber zu empfangen. Zum Ende öffnet Person A die Augen und tauscht sich mit dem Gegenüber aus, wie sich die Übung angefühlt hat. Auch Person B hat jetzt die Möglichkeit zu beschreiben, welche der ausgesprochenen Bilder und Worte bei ihm/ihr Resonanz erzeugt haben, aber auch, dass er7sie vielleicht gar nichts damit anfangen konnte.
Für die nächste Spielrunde schliesst Person B die Augen und Person A sucht sich einen neuen Platz und die Übung beginnt von Neuem.
Spielerisch forschen und Erfahrungen sammeln
Übungen wie diese helfen, die eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten zu verfeinern. Zugleich fühlen sie sich für viele Menschen seltsam, esoterisch oder sogar unangenehm an. Als ich vor 12 Jahren in einem dreijährigen Training bei Thomas Hübl zuerst von „subtilen Kompetenzen“ hörte und wir unermüdlich Übungen wie die oben beschriebenen machten, glaubte ich nicht wirklich daran, dass ich „fühlend“ neue Informationen über mich und andere bekommen würde. Ich identifizierte mich sehr mit meinem Intellekt und empfand meinen Körper und meine Emotionen als wirres Minenfeld, das ich lieber umschiffen, als tiefer fühlen wollte. Zugleich war ich neugierig und sehnte mich danach aus meinem Kopf herauszukommen.
Gleich im ersten Retreat überraschte ich mich dabei, subtile Informationen zu empfangen, die bei meinem Gegenüber offensichtlich Resonanzen auslösten und die sich dadurch auf einer tieferen Ebene gesehen fühlten. In den nächsten Jahren – und bis heute – schwanke ich immer wieder zwischen Frustration und Euphorie: manchmal bin ich völlig blockiert, im Kopf gefangen und scheine nichts mitzukriegen. In anderen Fällen gelingt es mir mich viel tiefer fühlend auf die Welt einzulassen und mich von Intuition und Inspiration ganz selbstverständlich leiten zu lassen. Die gleiche Reaktionsbreite erlebe ich auch bei Teilnehmerinnen in Workshops, wobei die positiven Überraschungen überwiegen und ich davon begeistert bin, wie viele Menschen sich auf diese experimentelle Wahrnehmung einlassen.
In meiner Erfahrung vertrauen Menschen, die subtile Wahrnehmungsformen schulen, mit der Zeit immer mehr anderen, nicht rein intellektuellen Informationen. Sie lassen sich dann nicht mehr nur mental “in-formieren”, sondern sind in der Lage auch andere Informationsarten zu verarbeiten und umzusetzen, also “in Form” zu bringen. Dieses neue Spektrum eröffnet uns mehr Wahlmöglichkeiten als wenn wir uns nur auf unseren Verstand verlassen. Wenn wir dann z.B. sehen, dass in einer Situation Kopf, Herz und Körper in unterschiedliche Richtungen weisen, kann dies ein guter Anhaltspunkt sein keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen, sondern uns noch tiefer mit dem Problem zu beschäftigen. In anderen Fällen erleben wir eine Kohärenz der verschiedenen Informationsebenen und fühlen uns bestärkt, dass die eingeschlagene Richtung in die Zukunft stimmig und sinnvoll ist.
Wie können wir in einer Welt, die von Stapelkrisen und existentieller Unsicherheit geprägt ist, stabil und kreativ bleiben?
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