Jenseits von Richtig und Falsch – 3 beliebte Kommunikationsmuster

Illustration erstellt mit Midjourney

Bei einem Abendessen, zu dem ich neulich eingeladen war, unterhielten sich die Gäste über ein breites Spektrum an Themen.  Es ging um den Rechtsruck in Deutschland, Trump, den Krieg im Nahen Osten, Klimawandel, KI und Kindererziehung.

Während der Diskussion traten mir einige Kommunikationsmuster deutlich vor Augen, die sich an diesem Abend beinahe wie in einem Lehrstück auf einer Bühne inszeniert präsentierten. Da sie auch in der Arbeitswelt weit verbreitet sind, kam mir die Idee, sie hier zu beschreiben. Und zwar nicht im Sinne von “was macht ihr alles falsch!”, sondern als Selbsterforschung. Denn ich bin persönlich in die beschriebenen Muster eng verwoben und sie sind eines meiner Lernfelder.

1. Das Mindset von „richtig und falsch“

Das erste Muster, das aus der Diskussion hervorging, war der Unterschied zwischen Menschen, die auf der Basis von “richtig” und “falsch” argumentieren, und denen, die verschiedene Perspektiven nebeneinander stehen lassen und erstmal nicht bewerten.

Die Beiträge der ersten Gruppe hatten oft einen apodiktischen Beigeschmack. Voller Gewissheit, dass sie die Lage durchblicken, wurden Meinungen wie harte Fakten vorgetragen. Im Schlagabtausch mit anderen Gästen flogen Argumente und Meinungen hin- und her. Kaum hatte jemand seinen Satz beendet, brachte jemand anderes schon ein Gegenargument, das oft mit „ja, aber“ begann. Das Resultat waren viele nebeneinander stehende Statements, mit wenig Verbindungen zwischen einander. 

Einige Gäste bedienten sich eines anderen sprachlichen Ausdrucks. Sie waren weniger selbstgewiss. Stattdessen schienen sie davon auszugehen, dass sie im gemeinsamen Gespräch etwas Neues über die diskutierten Themen lernen konnten. Sie hörten aufmerksamer zu, fragten nach und bauten aufeinander auf, sodass im Laufe der Unterhaltung ein neues, differenzierteres Bild des jeweiligen Themas entstand. 

Das Nebeneinander beider Gesprächsmuster trug zu einer unausgewogenen und angespannten Atmosphäre bei, die von dem Gastgeber auch bemerkt wurde. Er hatte sich, so sagte er mir bei der Verabschiedung, einen verbundenen Abend gewünscht und war jetzt frustriert, weil sich kein richtiger Flow entwickelt hatte.

Der Unterschied zwischen beiden Diskussionsformen ist mir nur zu vertraut. So oft ertappe ich mich dabei, meine Meinung voller Selbstgewissheit heraus zu posaunen, schlecht zuzuhören, andere Perspektiven schnell zu bewerten, sprich abzuwerten. 

Erst seitdem ich mich mehr mit Komplexität und Kommunikation und den ihr zugrunde liegenden inneren Dynamiken beschäftige, verstehe ich (zuerst auf einer mentalen Ebene), dass viele Fragen keine „richtige“ und „falsche“ Antwort haben. Denn in komplexen Umgebungen ist die Menge an Informationen und möglichen Wechselwirkungen für lineare, kausale Beziehungen viel zu groß. Eine Intervention, die sich heute “richtig” anfühlt, kann morgen “falsch” sein, da sie ein Verhalten /ein Resultat erzeugt, mit dem ich nicht nur nicht gerechnet habe, sondern mit dem ich gar nicht hätte rechnen können, da die Zahl der Variablen viel zu groß ist. Dies ist auch der Grund, warum mich utilitaristische Ansätze, beispielsweise vom effektiven Altruismus, nicht überzeugen. 

2. Die Realität der Anderen ignorieren

Ein zweites weit verbreitetes Kommunikationsmuster, welches eng mit „Recht haben“ korreliert, ist es, die Realität anderer Menschen zu ignorieren. Auch dies konnte ich während des besagten Abends beobachten. Eine Freundin beschrieb eine Erfahrung aus ihrem Arbeitsleben und die selbstkritischen Gefühle, die diese in ihr ausgelöst hatten. Worauf ihr Gegenüber einwarf: „Aber du hast das doch ganz toll gemacht. Ich verstehe gar nicht, weshalb Du Dich in so einem schlechten Licht darstellst.“

Der Kommentar war unterstützend gemeint. Aber dennoch total übergriffig. Denn eigentlich sagte diese Person: Das, was Du empfindest, ist falsch und ich sage Dir, wie es Dir eigentlich gehen sollte. 

Seitdem ich auf dieses Muster, die Realität eines anderen zu hinterfragen oder sogar zu leugnen, achte, begegnet es mir erstaunlich häufig. Eine Aktivistin beschreibt in einer Gruppe, dass sie sich gemobbt fühlt. Jemand entgegnet, das sei doch nur ein ganz normaler Konflikt, kein Grund, sich verletzt zu fühlen. Jemand beschreibt sich als schwach. Und bekommt erwidert, dass ihr Verhalten doch große Stärke zeige.

Auch diese Dynamik kenne ich sehr gut. Im Austausch mit meinem Mann, Stephan, praktiziere ich sie fast täglich. Wenn er morgens mit einem Fluch aufsteht, weil es draußen kalt ist oder er schlecht geschlafen hat, muss ich instinktiv etwas Positives dagegen setzen. Wie „aber letzte Woche war es viel kälter“ oder „wirklich? Du siehst sehr ausgeschlafen aus“. 

Wenn ich mich dieses Musters bediene, mache ich das nicht aus Bosheit, weil ich Stephan seine Gefühle und Wahrnehmungen absprechen will. 

Wie alle diese Kommunikationsmuster hat auch dieses einen guten Grund und befriedigt ein tieferes Bedürfnis meinerseits. In diesem Fall ist es so, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der unendlich viel kritisiert und die Welt sehr negativ gesehen wurde. Für mich war es ein Überlebensinstinkt, Gläser nicht „halb leer“, sondern „halb voll“ anzusehen. Bis heute erzeugen negative Aussagen in mir einen Druck, auf den ich reflexartig mit einem positiven Gegengewicht reagiere.

Doch so verständlich meine Reaktion auch sein mag, ich zeige damit meinem Partner 1. dass ich ihn nicht richtig gehört habe und 2. dass ich seine Haltung oder Gefühle nicht ernst nehme, sondern sie anders haben will. Mein Gegenüber fühlt sich dadurch ständig kritisiert und in seiner Wahrnehmung und Bedürftigkeit nicht gesehen und schon gar nicht ernst genommen. 

Erst seitdem ich verstanden habe, das meine „normale“ Reaktion Teil meiner Prägung ist, gelingt es mir ein bisschen mehr Abstand zu halten und in dem Raum zwischen Wahrnehmung und Reaktion (manchmal) eine kleine Lücke zu lassen, in der ich mich anders auf den Trigger beziehe und mein Verhalten entsprechend ändern. 

3. Verschiedene Differenzierungsgrade 

Ein drittes Muster beschäftigt mich. In Diskussionen fällt mir auf, welche unterschiedlichen Differenzierungen wir in uns tragen und wie schwer es ist, ein Gespräch auf verschiedenen Niveaus zu führen.

Selbst sehr gut gebildete und beruflich erfolgreiche Menschen haben manchmal sehr wenig Vorstellungen davon, wie komplex fast jedes Thema ist. So argumentierte ein Teilnehmer des besagten Abends, dass es der technologische Fortschritt an sich und Netzwerkeffekte im Besonderen seien, der zu den vielen gesellschaftlichen Verwerfungen und Dysfunktionalitäten führen würde. Andere warfen ein, dass Technologie eher ein Ausdruck grundlegender Machtungleichgewichte sei und wir bei der Diskussion so unterschiedliche Faktoren wie Werte, Wirtschaftslobbies oder Regulierungsstrukturen einbeziehen müssten. 

In der Diskussion prallten eindimensionale Erklärungen gegen multidimensionale. Diese Unterschiede haben einen kognitiven Aspekt. Je nachdem, wie tief ich mich mit einem Thema beschäftige und den Diskussionsstand kenne, desto differenzierter kann ich mich artikulieren. Doch es gibt auch eine innere Dimension, die beim Umgang mit Komplexität eine Rolle spielt und mit beeinflusst, inwieweit Menschen Komplexität navigieren können. 

Mir geht es oft so, dass ich beim Zuhören nicht nur die Worte höre, sondern die dahinter liegende Architektur und die den Gedanken zugrunde liegenden Haltungen und Parameter. Manche Aussagen wirken auf mich so, als hätten sie sich in einem Labyrinth verlaufen. Vieles geht drunter und drüber. Die Wörter drängen nach außen, um das Vakuum der Stille zu füllen und nicht, weil sie einer geführten Struktur folgen. Wörter, Körpersprache und emotionaler Ausdruck passen nicht zusammen, sondern senden völlig unterschiedliche Botschaften. Dann erscheint es mir so, als fehle die innere Führung, die es der sprechenden Person ermöglichen würde, einen komplexeren Zusammenhang adäquat zu beschreiben. Die innere Verwirrung führt dann natürlich auch dazu, dass ich diesem Menschen nicht gut zuhören kann, sondern mich dabei ertappe in Gedanken abschweifen, mein Gegenüber tendenziell abzuwerten oder zu bemitleiden (was ja auch eine Form von Abwertung ist).

Bei anderen Menschen dagegen wird beim Sprechen eine klare und differenzierte innere Architektur sichtbar. Ich spüre, dass sie in ihrem Inneren eine größere, kohärente Landkarte tragen. Sie fühlen sich sicher genug, um in sich hinein zu spüren und das in Worte zu fassen, was in ihnen auftaucht. Sie sind mit ihrem Körper und ihren Emotionen im Kontakt und sprechen “aus sich heraus”, statt “über etwas”. Die Verbindung mit sich, aus der das Gesagte aus ihnen auftaucht, erzeugt einen vollen Resonanzraum. Das Gesagte fühlt sich authentisch, kraftvoll und ehrlich an. So kommt es auch klarer beim Gegenüber an.

Auch diese Dynamiken und Unterschiede kenne ich nur zu gut von mir. Ich war lange Zeit ein „talking head“ und habe mich innerlich aus dem Körper in den Kopf hochgezogen, da mein Körper und meine Emotionen “gefährliches” Terrain waren. Im Körper saß meine Angst und die wollte ich verstecken. Also koppelte ich mich vom Körper ab und sprach nur vom Kehlkopf an aufwärts. Doch derart vom Herzen und Becken getrennt, konnte ich nur Dinge ausdrücken, die ich mir schon vorher mental zurechtgelegt hatte. Die komplexeren Nuancen eines Themas, geschweige denn Emergenz, blieben mir verwehrt. Denn Neues entsteht nicht im Kopf allein, sondern kommt aus einem größeren, gefühlten Raum.

Wenn ich mit mir verbunden bin (wie in der 3-Sync Meditation, einer der Basispraktiken von Thomas Hübl), dann haben meine Worte “Wurzeln” und haben Substanz. Dann kann ich mich auf Verästelungen und Widersprüche einlassen und das differenzierte Wissen, das ich latent in mir trage, in Worte fassen.

Für mich war dies ein langer Lernweg, den ich u.a. in meinem Buch Innenansicht beschreibe. Ich musste mich dafür meinen Ängsten und vielen tauben Punkten stellen. Musste teilweise regelrecht in ihnen „marinieren“, um sie ganz zu verstehen. Und je mehr ich die bislang ausgeklammerten Aspekte studierte, desto mehr konnte ich sie annehmen, ja sogar lieb gewinnen (im Sinne von Selbstfürsorge). Mit der Zeit traute ich mich mehr und mehr beim Sprechen meinen Körper mit einzubeziehen und aus der Verbindung mit mehr als nur meinen bekannten Gedanken zu sprechen. 

Dieses andere Sprechen erleichtert mich enorm. Ich muss viel weniger vorbereiten als früher, sondern kann darauf vertrauen, dass mir in einer aktuellen Situation etwas Sinnvolles einfällt. Oder wenn nicht, dann kann ich entspannt schweigen. Heute spreche ich (etwas) langsamer, spüre weniger Druck mich selbst in Gruppen darzustellen und bekomme zugleich gespiegelt, dass mir Menschen lieber und besser zuhören als früher. 

Die Bedürfnisse dahinter anerkennen

Die beschriebenen Kommunikationsstile wirken in unserem individuellen und organisationalem Leben. Zugleich konstituieren sie auch unser gesellschaftliches Fundament, welches aktuell von Fragmentierung und Polarisierung zerrissen wird. Gute Gründe, finde ich, sich intensiver damit zu beschäftigen  

 Vielleicht hast Du Lust darauf zu achten, wie Dein Verhältnis zu diesen 3 Kommunikationsfallen ist? 

Nicht, um Dich schlecht zu fühlen und in ein “mea culpa” auszubrechen. Sondern um Dich selbst besser kennenzulernen. Denn hinter jedem dieser Muster stehen tiefere und authentische innere Dynamiken und Bedürfnisse.

Wenn ich “Recht haben muss” oder die Realität meines Gegenübers nicht stehen lassen kann, zeigt es meine eigene Not, die Realität auf eine bestimmte Art und Weise sehen zu müssen. Ich kann die andere Perspektive nicht stehen lassen, da sie meine eigene Wahrnehmung herausfordert, die mir psychologische Sicherheit und Stabilität gibt. Erst wenn ich in mir gefestigt und klar genug bin, kann ich andere Perspektiven in mir auftauchen lassen, ohne sie abzuwehren oder negativ (oder auch positiv) zu bewerten, 

Auch der Umgang mit unterschiedlichen Differenzierungsgraden ist von Bedürfnissen geprägt. Bei Themen, die mir wichtig sind und über die ich viel nachgedacht habe, tut mir eine reduktionistische Sicht fast physisch weh. Denn ich sehe, welche realen, z.B. missbräuchlichen Folgen es hat, wenn wir bestimmte diskriminierende Macht Dynamiken nicht einbeziehen, wenn wir Individuen in “Identitäts Gefängnisse” einsperren, wenn wir gesellschaftliche Missstände auf Technologie reduzieren etc.. Doch so verständlich mein Muster auch sein mag, ich bin mir bewusst, wie sehr ich andere verletze, indem ich sie mit ihren weniger nuancierten Meinungen abwerte.

Diese Themen mit Menschen, selbst mit guten Freund:innen, anzusprechen, erscheint oft heikel. Denn die wenigsten Menschen hören gerne, dass ihre Reflexionen nicht differenziert genug sind. Sich gegenseitig auf solche qualitativen Reife Unterschiede aufmerksam zu machen, kann leicht überheblich und besserwisserisch sein. Und so ignorieren wir die Unterschiede meist. Aber damit verpassen wir die Chance, etwas Neues zu lernen und die Beziehung zueinander zu vertiefen. Denn im Zweifel werde ich die Verbindung zu den Menschen, die mir reduktionistisch erscheinen, nicht intensivieren, ja vielleicht sogar zukünftig meiden.

Um solche “schwierigen” Gespräche zu führen, ist es in meiner Erfahrung notwendig, mich erstmal selbst zu hinterfragen. Wo überhebe ich mich mit meiner Haltung? Wie ist meine Beziehung zu meinem Gegenüber? Reduziere ich ihn oder sie auf ihre intellektuelle Kompetenz oder sehe ich den ganzen Menschen? Bin ich mir bewusst, dass – selbst wenn ich mich als differenziert empfinde – es viele andere Menschen gibt, die wesentlich nuancierter und informierter sind, als ich selbst? 

Egal, wo euer Kommunikations-Spielplatz ist, in welcher Lernzone ihr euch bewegt, hilft es auf jeden Fall, sich Freund:innen ins Boot zu holen. Bittet sie, euch bei Diskussionen den Spiegel vorzuhalten. Ein Zeichen zu machen, wenn ihr komplexe Themen in „richtig“ und „falsch“ einordnet, die Realität anderer ignoriert, zu einfache Erklärungen heranzieht oder nur aus dem Kopf heraus sprecht, um die unangenehme Spannung zu entladen, die Stille in euch erzeugt. 

Gutes Praktizieren!

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