Hochmotivierte und kompetente neue Mitarbeiter zu finden ist für die meisten Unternehmen, unabhängig von ihrem Organisationsmodell, gar nicht so leicht. Wenn diese Unternehmen zudem jedoch noch ungewöhnliche Arbeits- und Führungsformen haben, z.B. holokratisch oder selbstorganisiert sind, wird der Einstellungs- und Onboarding Prozess nochmals herausfordernder.
Wie sieht der Einstellungsprozess aus?
Unternehmen haben gewöhnlich viel Erfahrung damit die für eine Mitarbeit erforderlichen Kompetenzen – agiles Projektmanagement, verhandlungssicheres Englisch etc. – präzise auszuschreiben und im Bewerbungsgespräch herauszufinden, ob der Kandidat diese Fähigkeiten auch wirklich mitbringt. Im Gegensatz dazu fällt es vielen Organisationen schwer explizit und klar die eigene Führungs- und Zusammenarbeitskultur zu beschreiben und die dafür notwendigen Anforderungen an neue Mitarbeiter zu beschreiben, zumal die auf der Unternehmens-Website angeführten Werte sich von der gelebten Praxis oft deutlich unterscheiden. Ebenso schwer ist es im Einstellungsgespräch herauszufinden, inwieweit die Werte und Haltungen der Kandidatin zur gelebten Unternehmenskultur passen. Doch wie zahlreiche Studien belegen ist die Passung zwischen Werten und Haltungen des Einzelnen und der Unternehmung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit maßgeblich. Nur wenn ich als Mitarbeiter spüre, dass mein Mindset mit dem des Unternehmens in Resonanz geht, bringe ich mich mit allen meinen Kompetenzen wirklich ein, bin motiviert und inspiriert.
Führungspersonen, denen Stabilität, Sicherheit und Pflichtbewusstsein wichtig sind, werden ihre Abteilungen mit Instrumenten wie Meilensteinplanung und regelmäßigen Terminen zur Nachverfolgung dieser anleiten. Als dynamischer, innovationsgetriebener Kandidat werde ich in so einem eher bürokratisch strukturierten Unternehmen wenig Resonanz erfahren. Zugleich wird mein Verhalten auch nicht den Erwartungen des Unternehmens entsprechen. Das gleiche gilt umgekehrt natürlich genauso: bei agilen Chefs, die Kreativität, Freiräume und Flexibilität priorisieren, werden sehr sicherheitsorientierte Mitarbeiter überfordert und allein gelassen fühlen.
Auch für Firmen, die in Richtung New Work gehen, sind Einstellungsprozesse ein wichtiges Thema. Wie können sie sicherstellen, dass neue Mitarbeiter und das New Work Organisationsmodell zusammen passen?
Im betterplace lab haben wir in den letzten fünf Jahren damit einige Erfahrungen gemacht. Am Anfang unser Team Transformation dachten wir, es würde ausreichen, wenn Kandidaten im Vorfeld in unserer online verfügbaren Verfassung nachlesen, wie wir Führung und Zusammenarbeit gestalten. Konnten sie im Bewerbungsgespräch glaubhaft darlegen, dass sie die dort beschriebenen Prozesse und Strukturen interessant und für sich passend fanden, glaubten wir ihnen und führten den Bewerbungsprozess wie gehabt durch.
Doch schnell merkten wir, dass einige der neuen Mitarbeiter von den ungewohnten Freiräumen und fluiden Abläufen überfordert waren und sich mehr Struktur und Anleitung wünschten. Nachdem wir uns von zwei Neueinstellungen innerhalb der Probezeit wieder getrennt hatten, überarbeitete das Team den gesamten Prozess.
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In diesem zweiten Teil legen wir das, wie das betterplace lab einen Einstellungsprozess entwickelt hat, der zu Selbstorganisation und neuen Führungsformen passt.
Jeweils die Kollegen, die in dem ausgeschriebenen Themenbereich am kompetentesten sind, führen den Einstellungsprozess. Sie setzen die Ausschreibung inklusive verschiedener äußerer und innerer Kompetenzanforderungen auf und treffen sich mit einer Auswahl von Kandidaten. Eine Endauswahl trifft dann auf das gesamte betterplace lab team und präsentiert eine im Vorfeld gestellte Aufgabe.
Dabei verwenden sie mindestens genauso viel Zeit mit dem thematischen, inhaltlichen Fit, wie mit der Frage nach Teampassung und inneren Kompetenzen. Sie versuchen herauszufinden, welche Werte den Kandidaten leiten. Wie reflektiert der Mensch seine individuelle Balance zwischen den beiden psychologischen Grundbedürfnissen „Sicherheit“ und „Veränderungswille“? Und im Falle das Stabilität und Sicherheit eine wichtige Rolle spielen, beschreibt das Team seine Erfahrung, das neue Mitarbeiter sich bei uns im ersten Jahr oft wenig orientiert und unsicher fühlen, da die Strukturen flexibel sind und der Teamzusammenhalt stattdessen durch klare, transparente Kommunikation aufrecht erhalten wird. Und in die muss man als neues Teammitglied erstmal hineinwachsen.
Auch wenn das Team weiß wie wichtig einzelne Kompetenzen wie Reflektionsvermögen, Selbstführung, Empathie, Konfliktfähigkeit oder Prozessbewusstsein sind, bleibt es schwierig diese im Bewerbungsprozess wirklich herauszuarbeiten. Das liegt meines Erachtens insbesondere daran, dass die meisten von uns sich selbst nicht besonders gut kennen. Oder wie einfach fällt es Dir, lieber Leserin, Fragen wie die folgenden klar und präzise zu beantworten? „Wie gut fühle ich mich selbst?” Weiß ich, was bei mir negative Gefühle und Reaktionen triggert?“ „Was brauche ich um kreativ zu sein?“, „Wie gut kann ich Prozesse und Erfahrungen aus der Distanz und Vogelperspektive betrachten um wesentliche Muster zu erkennen?“
Im Vorfeld können auch Probetage, an denen Kandidaten im Unternehmen mitlaufen, um anderen über die Schulter zu schauen und ein besseres Gespür für die Arbeitsatmosphäre zu bekommen, ein gutes Mittel der gegenseitigen Annäherung sein.
Außer intensiveren Einstellungsgesprächen hat das betterplace lab Team inzwischen auch einen guten Onboarding Prozess entwickelt. So bekommt jeder neue Mitarbeiter einen Paten, der ihn in Kultur- und Kommunikationsfragen zur Seite steht und regelmäßige Feedbacks durch führt.
Rückblickend erscheint uns besonders eine Fähigkeit für den Einstellungsprozess in New Work Firmen essentiell: die eigene Kultur und Wertelandschaft ebenso klar und präzise beschreiben zu können, wie die individuellen Fähigkeiten, die es für eine gelungene Zusammenarbeit braucht. Da vieles davon neu und ungewöhnlich ist, sollten Teams sich genau überlegen, wie sie neue Mitglieder darin unterstützen können. Im betterplace lab sind dies beispielsweise Supervisions-Sessions mit Bettina.
Wenn die Entscheidung gefallen ist, erlaubt ein verlässlicher Onboarding-Prozess dem neuen Teammitglied im Unternehmen anzukommen, seinen Platz zu finden und gegebenenfalls weitere Kompetenzen und Kapazitäten aufzubauen.