Vom Kybernetiker Heinz von Foerster stammt der Satz: “Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird”.
An dieses Prinzip muss ich beim Anblick des Vier-Quadrantenmodells denken, das uns hilft die Realität ganzheitlicher abzubilden. Das Modell teilt Realität in eine äußere, sichtbare Dimension und in eine innere, nur innerlich erfahrbare und meist unsichtbare Dimension auf. Zusätzlich differenziert es zwischen einer individuellen und einer kollektiven Ebene. Für meine Ausführungen hier reicht es aber, wenn wir uns der inneren (linker Teil der Grafik) und äußeren (rechter Teil der Grafik) Dimension zuwenden.
Die meisten Führungsinstrumente, die explizit in Ausbildungen vermittelt und in Unternehmungen Verwendung finden, finden sich in der äußeren Dimension. Dazu gehören Werkzeuge wie Balanced-Scorecards, Gantt-Charts, Entscheidungsbäume, ebenso wie verschiedene Organisationsmodelle , beispielsweise funktionale Hierarchien, Matrix-Organisationen oder agile Organisationen. Im Zuge der zunehmenden Komplexität erkennen wir, dass viele dieser Tools und Modelle zu schematisch und rigide sind und bemühen uns äußere Strukturen und Prozesse möglichst flexibel und schlank zu halten. Durch diese Reduzierung von Struktur im Außen reduzieren wir zugleich aber auch Sicherheit und Orientierung. Diese müssen wir jetzt über neue Führungsinstrumente gewinnen, die in der inneren Dimension zu verorten sind. Darunter fassen wir Kompetenzen wie innere Klarheit durch einen guten Selbstkontakt und die Fähigkeit sich selbst differenziert zu reflektieren, transparente Kommunikation und die Fähigkeit Spannungen im Beziehungsraum halten zu können, aber auch die Kompetenz verschiedenste Perspektiven nebeneinander stehen lassen zu können (Multiperspektivität) oder größere Dynamiken aus der Vogelperspektive zu erfassen (Metareflkexion).
Den Lösungsraum vergrößern
Indem wir lernen, sowohl äußere als auch innere Führungsinstrumente anzuerkennen und einzusetzen, vergrößern wir signifikant den Lösungsraum für unsere Unternehmung. Denn immer wenn wir ein Problem innerhalb unser Unternehmung lösen wollen, haben wir nicht mehr nur die Wahl zwischen mehreren äußeren Instrumenten (Gantt-Charts oder Netzplantechnik), sondern können unsere Prozesse auch auf Basis der inneren Kompetenzen umsetzen.
Konkret bedeutet das beispielsweise, dass wir einen Konflikt bezüglich eines Belegplans oder einer Nachfolgeregelung entweder durch feste Regeln (wenn A dann B) oder externe Instrumente (neue Excel-Listen) lösen können. Wir haben aber auch die Möglichkeit in den inneren Quadranten nach neuen Lösungen zu suchen, z.B. indem wir in die Kommunikations- und Konfliktkompetenzen der Handelnden investieren, damit diese zukünftig in der Lage sind strittige Themen situativ, klar und differenziert untereinander zu besprechen und kommunikativ die Prinzipien ihrer Zusammenarbeit zu klären.
Innere Steuerungsinstrumente haben mehrere Vorteile. Zum einen sind sie flexibler und adaptiver als die meist regelbasierten äußeren Tools. Wenn ich eine Situation gemeinsam mit meinen Kolleginnen betrachte, stehen uns viele verschiedene Perspektiven zur Verfügung, denn im Zweifel greift jede von uns auf unterschiedliche Informationen und Erfahrungen zu. Sind wir in der Lage diese gut zu kommunizieren, treffen wir unsere Entscheidungen auf der Basis eines viel reichhaltigeren Informationsschatzes. Wir können auch über die rein rationale Ebene hinausgehen und Impulse aus unserer verkörperten, emotionalen und intuitiven Wahrnehmung einbringen.
Inner Work bringt das Neue in die Welt
Die inneren Dimensionen bergen aber noch einen weitaus größeren Schatz: sie sind die Quelle von Innovationen, die wir aus der äußeren Ebene nie oder nur selten hervorbringen können. Denn wirklich Neues kommt nur dann in die Welt, wenn im Menschen eine neue innere Erkenntnis haben. Wenn sich ihr Verhältnis zu dem, was wir Realität nennen, verändert. Äußere Veränderungen sind meist pfadabhängig und speisen sich aus der Vergangenheit. Das ist in vielen Standardsituationen angemessen, da das Einhalten von Regeln, Strukturen und Prozessen Abläufe standardisiert und somit Energie spart. In unserer heutigen Welt, und damit auch in unseren Organisationen, sind wir jedoch nicht mit “weiter so” konfrontiert, denn eine Verlängerung der Vergangenheit führt uns noch weiter in die Krise. Krisen (von der Klimakrise über die Unternehmenskrise bis zur Partnerkrise) zeichnen sich dadurch aus, dass wir an die Grenzen der Funktionsfähigkeit eines Systems gekommen sind und die Probleme nicht mehr im ursprünglichen Bearbeitungsmodus bewältigt werden können.* In diesen Situationen müssen wir den Lösungsraum unseres herkömmlichen Repertoires erweitern und neue Räume schaffen und neue Methoden entwickeln, in denen etwas Neues hervortreten, emergieren kann. Indem wir die tieferen Muster unserer Wahrnehmung, und unserer Art zu denken und zu handeln, besser verstehen, können wir sie transzendieren und zu etwas Neuem vorstoßen, dass die aktuelle Situation adäquater beantwortet als unsere vorgefertigten Standardlösungen.
In den nächsten Jahren werden wir sehr viele unserer aktuell noch “normalen” Lebens- und Wirtschaftsformen umbauen müssen. Dazu gehören neue Organisationsformen und Geschäftsmodelle. Als Sozialunternehmerin sehe ich aktuell, wie viele Gemeinwohlorientierte Unternehmungen kämpfen. Mit schrumpfenden Finanzierungsmöglichkeiten, u.a. durch die Kürzungen der öffentlichen Hand und sinkende Spendenbereitschaft der Wohlhabenden. Mit ausgebrannten Mitarbeiterinnen, die mit unzureichenden Ressourcen ausgestattet, sich gegen eine immer größer werdende Krise stemmen usw.. Ebenso steht die For-Profit Wirtschaft vor einer tiefgreifenden Transformation, der sie mit den bisherigen Anstrengungen im Bereich Nachhaltigkeit und Menschenwürdigkeit nicht einmal ansatzweise nahe kommt.
Wir werden unsere zu klein gewordenen Lösungsräume erweitern müssen, um Strukturen und Prozesse, Haltungen, Weltbilder und Seinsformen zu gestalten die für die heutigen und zukünftigen Bedürfnisse von Lebewesen und dem Planeten besser geeignet sind. Dies kann nur gelingen, wenn wir ganzheitlich äußere und innere Werkzeuge einbeziehen. Das kann nur gelingen, wenn wir Inner Work nicht als nettes Add-on betrachten, dem wir uns in unserer Freizeit widmen. Innere Reifungsprozesse brauchen wie alle großen, wichtigen Entwicklungen Ressourcen wie Raum, Zeit und Unterstützung. Ein Indikator dafür, wie ernsthaft wir Transformation betreiben, sind für mich deshalb genau diese Ressourcen, die wir als Gesellschaft, Unternehmen, Familie und Freundeskreis für diese Arbeit bereitstellen. In Organisationen sind das Formate wie Sabbaticals und Reflexionsräume, ebenso wie Kunden und Geldgeber, die diese explizit unterstützen.
*Ich danke Stephan Peters für diese Formulierungen, die sich in einer noch nicht veröffentlichten Studie des betterplace lab zur “Metakrise. Auftrag an die Zivilgesellschaft” finden.