New Work, Inner Work und Gewerkschaften, Teil 2

Generiert mit Midjourney

Dies ist der 2. Teil eines E-Mail Austauschs zwischen Dr. Tine Scheffelmeier und Dr. Joana Breidenbach. Den ersten Teil findest Du hier.

Tine:
Wie läßt sich New Work für (das Standardmitglied der) Gewerkschaften produktiv machen?

Joana:
Wenn wir unter New Work einen Schritt hin zu mehr verteilter Führung, mehr Freiheit, mehr Potentialentfaltung aber auch mehr Verantwortung verstehen, dann läßt sich das heute an jedem Arbeitsplatz realisieren. Dafür muss man nicht in einer Agentur in Berlin oder einem Think Tank in Hamburg arbeiten. Stattdessen kann jeder Betrieb, jedes Team reflektieren, welchen nächsten Entwicklungsschritt sie gehen wollen. Ich war 10 Jahre lang Jurymitglied des New Work Awards von Xing und haben Tausende von Bewerbungen gesehen, aus allen Teilen Deutschlands, aus allen Branchen und von Mini-Unternehmen bis zu riesigen Konzernen. Überall versuchen Menschen ihre Arbeitsbedingungen zu verändern: Ob das die Deutsche Bahn ist, wo Teams ihre Dienstpläne selbstorganisiert gestalten oder ein Handwerksbetrieb, der Lehrlinge in Chefaufgaben einbezieht. Manche dieser Veränderungen sind nur sehr kosmetisch und wenig wirksam, aber sehr viele Menschen sind motiviert ihr Arbeitsumfeld zu verändern und diese Energie sollten wir aufgreifen und ernsthaft überlegen, wie eine gesunde Veränderung stattfinden kann. Dabei finde ich es wichtig sowohl Top-down als auch bottom-up vorzugehen: Wenn die Führungsriege signalisiert, dass sie etwas verändern wollen, dann beziehen sie die Belegschaft meist viel zu spät und oft nur pro Forma mit ein. Wenn man dagegen die Stimmen der Einzelnen wirklich ernst nimmt und ihre Bedürfnisse und Interessen in den Veränderungsprozess einbezieht, ist das meist viel wirksamer. Aber dafür müssen sich alle im Unternehmen als Lernende Verstehen: die Führungsetage genauso wie die MitarbeiterInnen. Und dafür braucht es Mut, den wenige „oben“ und „unten“ haben. Aber wenn wir vor dieser Art des Scheiterns Angst haben, vergessen wir dass zögerliche und unehrliche Change Prozesse oder Stillstand viel öfter versagen und uns alle schaden.

Tine:
Siehst Du einen Mehrwert an einem breiter aufgestellten Austausch zwischen Gewerkschafts- und SozialverbandsvertreterInnen und Personen, die New Work vorantreiben?

Joana:
Auf jeden Fall, denn Arbeit ist einer der zentralen Bereiche, die sich durch technologische, aber auch demographische und soziale Bedingungen sehr stark wandeln und zukünftig noch mehr verändern werden. Für solche großen Veränderungen brauchen wir den Austausch zwischen möglichst vielen Gesellschaftsgruppen – um von einander zu lernen und möglicherweise auch gemeinsam zu agieren. Ich denke, viele Menschen, die sich ernsthaft für neue Formen der Führung und Zusammenarbeit interessieren, gehen davon aus, dass wir statt kleiner Veränderungsschritte in den nächsten Jahren Arbeit auf eine wirklich neue Grundlage stellen müssen – und Lohnerwerb gemeinsam mit anderen Formen der würdigen Existenzsicherung, aber auch dem ganzen Bereich Fürsorge und Pflege zusammen denken müssen. Die alten Silos passen da nicht mehr und wenn wir nur ein Subsystem (Lohnarbeit) optimieren, kann dieses dann oft negative Folgen für das Leben von Bürgern und das gesellschaftliche Gesamtsystem haben. Diese Erkenntnis aus der Komplexitätswissenschaft ignorieren wir in der Politik total.

Im Dialog zwischen unterschiedlichen Akteuren könnten wir den Rahmen gemeinsam neu denken: Wie sieht ein gutes (Arbeits)leben aus? Was braucht der Planet? Welche Rolle spielt dabei Lohnarbeit? Welche Bedürfnisse und Interessen haben wir als Bürger und wofür müssen wir als Individuen Verantwortung übernehmen und wo greift die Pflicht des Staats? Welche Unterstützung brauchen Menschen, um Teil einer wirklichen Transformation zu sein?

Von solchen Debatten würden beide Seiten, die Du beschreibst, profitieren: sie würden über den jeweiligen Tellerrand sehen, sich mehr angstfrei auf Veränderungen einlassen, mehr austesten, mehr Kontext miteinbeziehen. Wir würden wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass wir Lohnarbeit an sich vollkommen überdenken müssen. In einer Zeit, in der Erwerbsarbeit immer mehr ausgehöhlt wird und das Versprechen des Staates auf “gute Arbeit” für große Teile der Bevölkerung nicht mehr realisierbar ist, wird immer deutlicher, das Lohnarbeit letztendlich auf Ausbeutung und Ungleichheit beruht. Wenn wir also für alle Lebewesen und den Planeten wirklich Sorge tragen wollen, müssen wir die Grenzen zwischen heute getrennten Sphären wie Wohlfahrt, Pflege und Lohnarbeit fundamental neu denken. Statt Lohnarbeit, Besitz und Konsum rücken Beziehungen in den Mittelpunkt unseres Lebens und unserer Institutionen. Beziehungen zu uns selbst, einander und zu dem Planeten.

Ich finde hier die Arbeit von Hilary Cottom sehr inspirierend, die Pflege und Arbeit ganz neu denkt. Statt ihre Argumente hier wiederzugeben, empfehle ich euch für einen ersten Eindruck diesen Artikel zu lesen.

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